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Flusskrebse: Roman (German Edition)

Flusskrebse: Roman (German Edition)

Titel: Flusskrebse: Roman (German Edition)
Autoren: Martin Auer
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der Kinderbetreuung im Flüchtlingshilfeverein mit. Unsere Deutschlehrerin hat das organisiert. Sie wollte sie auch bei sich zu Hause aufnehmen für ein paar Wochen, aber das hat Frau Saberi abgelehnt.“
    „Ihre Lehrerin würde ich gerne einmal kennenlernen.“
    „Frau Knapp ist großartig. Sie hat mir wieder bei einem Gedicht geholfen. Wollen Sie es sehen?“
    „Natürlich.“
    Juvénal holte aus seiner Hosentasche einen Zettel. „Aber lesen Sie es zu Hause. Und sagen Sie mir morgen, wie es Ihnen gefällt.“
    Mautner bedankte sich und nahm den Zettel mit nach oben. Hoffentlich konnte Juvénal das Niveau halten. Dieser Nagel würde zwar das Projekt auf jeden Fall durchziehen. Die Leute, für die das Buch gedacht war, konnten wohl sowieso gute Lyrik nicht von mittelmäßiger unterscheiden. Die meisten würden den Band überhaupt ungelesen ins Regal stellen oder weiterverschenken. Und Nagel konnte sich genau so gut als Wohltäter brüsten, wenn er die unbeholfenen Verse eines armen Negerleins als Kunstdruck herausbrachte, wie mit der Entdeckung eines jungen, vielversprechenden Talents.
    Mautner kochte sich erst einen Tee, dann setzte er sich mit der Tasse zum Tisch und strich den Zettel glatt. Es war das Original mit den Korrekturen von Frau Knapp. Es waren nicht wenige Korrekturen: Fallfehler und Rechtschreibfehler waren angezeichnet, hier und da war ein Wort durch ein anderes ersetzt worden oder die Reihenfolge einiger Wörter geändert.
    Hast du die Decke mitgenommen, mein Sohn,
die Decke aus roter Wolle?
Ich hab sie für dich gewebt, mein Sohn,
dort im Norden sind kalte Nächte.
    Ja, Mutter, ich habe die Decke mit,
die Decke aus roter Wolle.
Wenn sie mich einhüllt, denk ich an dich
und wie du mich immer gewärmt hast.
    Und hast du die Dollars mit, mein Sohn,
die Dollars in kleinen Scheinen?
Ich hab sie für dich verdient, mein Sohn,
mit Putzen und Waschen für Fremde.
    Ja Mutter, ich habe die Dollars noch,
die Dollars in kleinen Scheinen.
Ich hab sie ins Jackenfutter genäht,
direkt über meinem Herzen.
    Und hast du ein Heim gefunden, mein Sohn,
ein Haus, einen sicheren Hafen?
Hast du einen Platz, wo du bleiben kannst
ohne Furcht vor Hunger und Feinden?
    Ja Mutter, ich habe ein Heim gefunden,
hier werd ich für immer bleiben.
Auf dem Grund des Meeres da liegt es sich ruhig
ohne Furcht vor Hunger und Feinden.
     
    Juvénals plötzliches Interesse an Fragen der Sittlichkeit fand bald eine Erklärung. „Er hat ein Mädchen mitgebracht“, erzählte Mautner Vera am Telefon. „eine Lidija aus Russland. Sie ist ihrem Zuhälter durchgebrannt und muss sich verstecken.“
    „Jetzt ist also er ihr neuer Zuhälter?“
    „Ach komm! Er hat mich gefragt ob ich für sie ein Inserat aufgeben kann. Sie sucht einen Job als Putzfrau. Kennst du vielleicht jemanden, der eine braucht?“
    „Ich werde doch niemandem wissentlich eine Hure als Putzfrau andrehen! Wer weiß, was da dahinter steckt. Das kann doch auch ein Trick von ihr und ihren Zuhältern sein, sich Zugang zu Wohnungen zu verschaffen. Du musst doch nicht immer alles glauben, was dir die Leute erzählen. Ich meine, natürlich, vielleicht ist sie wirklich ein armes Opfer, ich will das ja nicht gleich ausschließen, aber man kann das einfach nicht wissen. Vielleicht wickelt sie deinen Juvénal um den Finger für irgendwelche – ist er verliebt in sie?“
    „So sieht’s aus.“
    „Und sie?“
    „Ob sie in ihn verliebt ist? Ich glaube nicht. Sie hat etwas Schlafmütziges, etwas Schlafwandlerisches wollte ich sagen. Ein bisschen eigenartig.“
    „Ist sie auf Drogen?“
    Mautner stieß die Luft aus. „Könnte sein, ja. Aber vielleicht ist sie irgendwie verängstigt. Das wäre ja kein Wunder.“
    „Wo hat er sie denn überhaupt aufgegabelt?“
    „Bei irgend so einem Callshop im dritten Bezirk. Da hat sich so ein Treffpunkt herausgebildet, hat er mir einmal erzählt. Diese Callshops haben nicht alle dieselben Preise für die diversen Länder. Die Inder telefonieren woanders als die Afrikaner. Und bei diesem Shop da treffen sich anscheinend junge Afrikaner und osteuropäische Huren. Die hängen dann vor dem Laden herum und trinken ein Red Bull oder ein Bier und schäkern.“
    „Also, ich tu mir wirklich schwer. Ich kennen niemanden, dem ich sagen könnte: Kannst du eine Ex-Prostituierte beschäftigen? Und hinterrücks – ich weiß nicht. Und wenn sie wirklich auf Drogen ist... Kann sie überhaupt Deutsch?“
    „Ein bisschen, ja. Juvénal übt mit ihr. Ich hab
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