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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt
Autoren: James Dickey
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herrschte, wenn ich nichts hören könnte, so würde ich nie wieder aufwachen. Irgend etwas auf der Welt mußte mich zurückholen, denn jede Nacht glitt ich ganz tief hinab, und wenn ich im Schlaf irgendein Gefühl hatte, dann das, tiefer und tiefer zu gleiten; so als ob ich versuchte, einen Punkt zu erreichen, eine Linie, irgendeine Grenze.
    Diesmal weckte der Wind mich, und ich zog mich aus der Tiefe herauf und versuchte wieder einmal, mir mit dem Instinkt des Überlebenden klarzuwerden, wo ich gewesen war. Ich war daran gewöhnt, daß das Geräusch von Marthas Atem mich zurückbrachte, denn sie atmete ziemlich laut, aber diesmal war es der Wind. Zunächst der Wind allein und dann der Wind, der eine kleine Gruppe von Metallfiguren zum Klingen brachte, die Martha im Patio aufgehängt hatte – Bronzefiguren von Vögeln, die eine Eule umkreisten; dank eines langen Flügels, der an ihr befestigt war, bewegte sich die Eule bei jedem Luftzug und verursachte so, die anderen Vögel berührend, ein melodisches Klingelgeräusch, ähnlich den chinesischen Windglocken aus Glas, die man in den dreißiger Jahren, als ich noch ein Junge war, überall sah. Es war ein zarter, unsteter Klang, ein lieblicher Klang, dachte ich immer, und als ich aus dem Schlafdunkel in das wirkliche Dunkel des Zimmers hochtauchte, kam mir der Gedanke, es könnte irgend etwas beschwören, und ich lag da im Dunkel, neben meiner Frau, während mein Körper und der Raum um mich herum allmählich Wirklichkeit wurden.
    Wie immer streckte ich die Hand nach Martha aus, und sie bewegte den Kopf, um den sie sich nachts ein Tuch zu binden pflegte. Ich berührte leicht ihre Schulter, und in diesem Augenblick erinnerte ich mich daran, daß ich mit Lewis wegfahren würde. Die tägliche Routine, an die ich mich gewöhnt hatte, zerrte an mir, aber etwas in mir lehnte sich dagegen auf, furchtsam und schwach und unzulänglich, aber leidenschaftlich. Ich nahm Martha in die Arme, um zu sehen, ob sie versuchen würde, mir auszuweichen und weiterzuschlafen, oder ob sie erst meine Wärme suchen und dann in den Schlaf zurücksinken würde.
    Sie war ein mageres Mädchen gewesen, als ich sie vor fünfzehn Jahren geheiratet hatte; sie hatte als Krankenschwester auf einer chirurgischen Station gearbeitet. Die Frage, ob sie hübsch war oder nicht, stellte ich mir überhaupt nicht, obwohl meine Freunde mir ohne große Begeisterung oder Überzeugungskraft sagten, sie sei es. Aber abgesehen von gewissen auf der Hand liegenden Überlegungen hatte mich bei Frauen Schönheit nie wirklich interessiert; das, wonach ich suchte und was ich fühlen wollte, war der Funke, die absolut persönliche Bindung, und als ich in Martha eine zwar bescheidene, aber anhaltende Verwirklichung meiner Vorstellung fand, hatte ich sie geheiratet. Es gab daran nichts zu bereuen, und ich bereute es auch nicht. Sie war eine gute Ehefrau und eine gute Gefährtin, vielleicht ein bißchen zu robust, aber mit dieser Robustheit schaffte sie auch alles. Sie war ernstlich stolz darauf, daß ich Vizepräsident einer Firma war, und sie blieb hartnäckig bei ihrer Überzeugung, ich hätte das Talent zu einem Künstler, wovon nicht die Rede sein konnte. Die graphische Kunst war für mich reines Handwerk, und nur dann, wenn ich ein Problem handwerklich angehen konnte und nicht auf Inspiration angewiesen war, brachte ich etwas zustande.
    So hatte ich für unser Wohnzimmer ein paar große Collagen angefertigt, die aus Plakatfetzen, Filmzeitungsbildern, Schlagzeilen aus dem Sportteil der Zeitung und ähnlichem bestanden. Und das war, was die Kunst bei mir anging, auch schon alles. Wenn ich jetzt an diese Collagen dachte, glaubte ich, Martha schätzte sie nicht deshalb so sehr, weil sie von mir stammten, sondern weil sie ihr eine Seite meines Wesens zeigten, die sie nicht kannte. Aber ihr Glaube an den Künstler in mir war ein Irrtum, in dem ich sie nicht bestärkte, wenn ich ihr auch nicht sagte, wie ich selbst darüber dachte. Ich zog sie an mich.
    »Wie spät ist es?« sagte sie.
    »Sechs«, sagte ich und sah auf die zerbrechlichen, fluoreszierenden Zeiger der Uhr neben dem Bett. »Lewis wird kurz vor halb sieben hier sein.«
    »Was mußt du noch alles vorbereiten?« fragte sie.
    »Nicht viel. Nur meinen alten Fliegerdress aus Nylon und die Tennisschuhe anziehen. Und wenn Lewis kommt, meine Sachen in seinen Wagen packen. Es ist nicht viel, und ich habe schon alles zurechtgelegt. Ich habe es im Wohnzimmer aufgestapelt, als
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