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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
Autoren: Patricia Cornwell
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mit ihr.«
    Das Zimmer vermittelte eine winterliche Stimmung. Die Einrichtung wirkte fahl und gelb wie Sonnenschein im Januar. Der Holzboden in der Nähe des Doppelbettes war schwarz, und an den Wänden sah ich schwarze Streifen und Tropfen. Die Tatortfotos zeigten Beryl auf dem Rücken liegend, die Beine gespreizt, die Arme um den Kopf geschlungen. Ihr Gesicht war auf das Fenster gerichtet, dessen Vorhänge zugezogen waren. Sie war nackt. Auf den Fotos konnte ich zunächst nicht erkennen, wie sie aussah oder welche Haarfarbe sie hatte. Alles, was ich sah, war Rot. Die Polizei hatte neben der Leiche blutige, khakifarbene Hosen gefunden. Ihre Bluse und ihre Unterwäsche fehlten.
    »Dieser Taxifahrer, von dem Sie gesprochen haben, Hunnel, oder wie er heißt, konnte er sich daran erinnern, was Beryl anhatte, als sie am Flughafen bei ihm einstieg?«, fragte ich.
    »Es war dunkel«, antwortete Marino. »Er war sich nicht sicher, aber er meinte, dass sie Hosen und eine Jacke getragen habe. Wir wissen, dass sie Hosen trug, als sie angegriffen wurde, diese khakifarbenen, die wir hier gefunden haben. Eine dazu passende Jacke lag auf einem Stuhl in ihrem Schlafzimmer. Ich glaube nicht, dass sie sich umgezogen hat, als sie nach Hause kam. Sie warf einfach nur ihre Jacke über den Stuhl. Was immer sie sonst nochgetragen hat – eine Bluse, ihre Unterwäsche –, hat der Mörder mitgenommen.«
    »Als Andenken«, dachte ich laut.
    Marino starrte auf die schwarzen Flecken am Boden, wo die Leiche gelegen hatte.
    Er sagte: »Ich sehe das so: Er bringt sie hier drinnen um, reißt ihr die Kleider vom Leib und vergewaltigt sie oder versucht es zumindest. Dann ersticht er sie und schneidet ihr fast den Kopf ab. Schade, dass der Laborbericht über ihre Leiche in dieser Beziehung so wenig hergibt«, fügte er hinzu. Er meinte damit, dass in den Abstrichen, die wir gemacht hatten, kein Sperma nachgewiesen werden konnte. »Schaut so aus, als müssten wir uns die DNA aus dem Kopf schlagen.«
    »Außer, wenn etwas von dem Blut, das wir untersuchen, von ihm stammt«, antwortete ich. »Ansonsten können Sie die DNA-Analyse vergessen.«
    »Haare haben wir auch keine gefunden«, sagte er.
    »Nur ein paar, die mit den ihrigen übereinstimmten.«
    Das Haus war so still, dass unsere Stimmen viel zu laut klangen. Überall waren diese hässlichen Flecken. Ich sah wieder Beryls Verletzungen vor mir, die Einstiche, die Spuren des Griffs, die brutale Wunde an ihrem Hals, die wie ein gähnendes, rotes Maul aufklaffte. Ich ging hinaus in den Gang. Der Staub reizte meine Lungen. Das Atmen fiel mir schwer.
    Ich bat Marino: »Zeigen Sie mir, wo Sie ihre Pistole gefunden haben.«
    Als die Polizei in der Nacht am Tatort eintraf, hatte sie Beryls .38er Automatic auf der Küchentheke neben der Mikrowelle gefunden. Die Pistole war geladen und gesichert. Die paar Fingerabdrücke, die das Labor darauf identifizieren konnte, stammten von ihr selbst.
    »In ihrem Nachttisch lag eine Schachtel mit Patronen«, sagte Marino. »Vielleicht hat sie dort auch die Pistole aufbewahrt. Ich denke, dass sie ihr Gepäck nach oben getragen und ausgepackt hat. Sie stopfte ihre schmutzige Kleidung in den Wäschekorb imBadezimmer und verstaute die Koffer im Schlafzimmerschrank. Irgendwann holte sie dabei ihre Kanone heraus. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie verdammt nervös gewesen sein muss. Wollen wir wetten, dass sie mit der Knarre in der Hand in jedes Zimmer schaute, bevor sie sich halbwegs beruhigte?«
    »Ich hätte es sicher getan«, bemerkte ich.
    Er schaute sich in der Küche um. »Vielleicht kam sie hierher, um etwas zu essen.«
    »Kann sein, dass sie das vorhatte, aber gegessen hat sie nichts«, antwortete ich. »In ihrem Magen waren etwa fünfzig Milliliter einer dunkelbraunen Flüssigkeit. Wenn sie etwas gegessen hat, so war es, als sie starb, bereits vollständig verdaut. Oder, präziser gesagt, als sie angegriffen wurde. Die Verdauung hört bei starkem Stress oder Angst sofort auf. Hätte sie, kurz bevor der Mörder sie erwischte, etwas gegessen, so wäre es noch in ihrem Magen gewesen.«
    »Es ist sowieso nicht allzu viel zu beißen da«, sagte er, als er die Tür des Kühlschranks öffnete.
    Drinnen fanden wir eine verschrumpelte Zitrone, zwei Stückchen Butter, eine Ecke gammeligen Käse und eine Flasche Tonicwasser. Die Tiefkühltruhe sah ein wenig vielversprechender aus, bot aber auch nicht viel mehr. Sie enthielt ein paar Packungen Hühnerbrüste, diverse
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