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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Autoren: Daniel Twardowski
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Joseph Clarke würde kaum eine Ausnahme bilden, obwohl seine Akte nicht verriet, ob er Raucher war. Noch immer hatten die Strafverfolgungsbehörden nicht begriffen, wie wichtig eine solche Information war, ja,
seit die Häftlinge routinemäßig fotografiert wurden, verzichtete man sogar auf eine detaillierte Personenbeschreibung. Anscheinend glaubte die Polizei, dass ein einmal fotografiertes Gesicht sich nicht mehr verändern ließ.
    Gowers witterte. Rechts, vorn, vielleicht achtzig Meter. Mindestens vier, vielleicht sechs, sonst hätte er sie nicht so stark riechen können. Leise stieg er auf einen kleinen Hügel festgetrampelten Abraums und sah in einer kleinen Mulde, vielleicht einem Graben, das schwache Glimmen eines Feuers. Er schlich näher heran, wich vorsichtig einigen eingesunkenen Schächten aus und zählte schließlich drei, fünf, sechs dunkle Gestalten, die ihre Gesichter der jämmerlichen Quelle nächtlicher Wärme zugekehrt hatten. Gowers lauschte.
    Unwahrscheinlich, dass Joe Clarke unter ihnen war, denn der war erst drei Tage zuvor ausgebrochen und würde sich hüten, eine so große Gesellschaft unbekannter Landstreicher zu suchen. Es gab zu viele Spitzel, zu viele Leute, die für eine warme Mahlzeit Freunde und Brüder verraten hätten. Eine Flasche kreiste, und was immer sie rauchten  – Tabak war es jedenfalls nicht. Vielleicht Tee, drei-, viermal aufgekocht, in den sie zur Erhöhung des Genusses trockenen Pferdemist gemischt hatten.
    Ihr Gespräch war recht einsilbig; Flüche über die Kälte, ein kurzer Gedankenaustausch über die Mülleimer einer bestimmten Wohngegend, Prahlerei über exorbitante Betteleinnahmen in einer anderen. Einer der Männer schlief bereits, zusammengerollt wie eine Schlange, die Füße in den durchlöcherten Schuhen beinahe im Feuer. Sein Schnarchen regte die anderen jetzt zu einem Disput über die Frage an, ob man besser mit dem Gesicht oder dem Rücken zum Feuer schlafen sollte.
    »Ein gesundes Kreuz ist wichtig«, sagte ein erfahrener alter Tramp. »Ihr grünen Jungs wisst das noch gar nicht zu schätzen, ein gesundes Kreuz. Deshalb immer mit dem Rücken ans Feuer, Jungs, immer mit dem Rücken!« Die Männer nickten, als hätte der Alte soeben den kategorischen Imperativ neu formuliert.
    »Und mit dem Arsch«, pflichtete einer von ihnen ernsthaft bei. »Gibt nichts Besseres wie’nen warmen Arsch.«
    »Doch«, sagte der Jüngste in der Runde und grinste breit. »Doch!«
    »Was?«, fragte der andere so gereizt, als sei seine Autorität durch den bloßen Widerspruch infrage gestellt worden. »Was? Was gibt’s Besseres wie ’nen warmen Arsch?«
    Der Junge gluckste vor Vergnügen, weil sein älterer Genosse ihm auf den Leim gegangen war. »Einen warmen Frauenarsch!« Gelächter antwortete ihm und gab ihm die Kühnheit oder auch nur das jämmerliche Verlangen, diesem wärmenden Gedanken noch ein paar Glanzlichter aufzustecken. »Hinten ’n Feuer und vorn ’nen warmen Frauenarsch!« Wieder lautes Gejohle.
    Gowers schlich weiter. Das entsprach in etwa seiner Überlegung darüber, was Joseph Clarke suchen würde.

12.
    Poll Hunleys Arbeitsplatz waren die Gräben rings um einen ehemaligen Speicher, dessen Mauern noch schwarz und angebrannt in den Nachthimmel ragten. Sie verteidigte dieses Revier mit Zähnen und Klauen, und dass das wörtlich zu nehmen war, konnten einige der anderen Huren mit tiefen Kratzspuren in ihren aufgedunsenen Gesichtern bezeugen. Der Platz war so gut, weil er an der Kreuzung gleich dreier ehemaliger Hauptwege lag und man sich in den Trümmern des Speichers bei Bedarf schnell und leicht verstecken konnte, wenn die Schmiere, also die Polizei, oder ein rabiater Freier einen dazu nötigte. Außerdem gab es da einen kleinen Keller, den man mit ein paar losen Balken leicht verkeilen und absperren konnte. Hier schlief sie, unter einem selbst gebastelten Drahtgestell vor den Ratten geschützt.
    John Gowers kannte Polls Höhle; er hatte das arme Geschöpf
dort sogar schon in seinem Schlaf gesehen, ohne dass sie es ahnte. Die meisten Huren der Geisterstadt arbeiteten zu zweit oder zu dritt, um einander notfalls beistehen zu können, aber Poll war jünger, kräftiger, hübscher und hatte deshalb keine Lust, ihre entsprechend höheren Verdienste zu teilen. Obwohl es schon nach Mitternacht war, ging sie auf der halbwegs freigeräumten Straße vor ihrem Speicher auf und ab und trug einen armseligen Hut mit einer schwankenden Feder, um anzuzeigen, dass ihr
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