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Fluch der Nacht: Roman

Fluch der Nacht: Roman

Titel: Fluch der Nacht: Roman
Autoren: Christine Feehan
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hervorbrachte. Bis zum Tag, an dem sie starb, würde sie die Schreie hören, die Schreie anderer, die um Gnade bettelten und den Tod erflehten.
    Nein, sie durfte ihren Vater oder Urgroßvater nichts wissen lassen von der Macht, die in ihr heranwuchs. Sie durfte nie verraten, dass die Tanten mit ihr gesprochen und sie unterrichtet hatten, dass sie ihr alles übermittelt hatten, was sie wussten, damit sie neben der wachsenden Macht, die ihr eigen war, auch das Wissen hatte, das mit ihr Hand in Hand gehen musste. Die beiden Männer würden versuchen, ihr alles zu nehmen, was sie war, oder sie zumindest zu beherrschen, falls sie das nicht konnten, und am Ende würde sie wie die anderen
    sein, den grausigsten Experimenten unterzogen und Stück für Stück bei lebendigem Leibe aufgefressen, bis nur noch Schmerz und Wahnsinn blieben.
    Heute war ihr Geburtstag, und sie musste fliehen. Sie musste das einzige Zuhause verlassen, das sie je gehabt hatte, und in eine Welt hinausgehen, die sie nur durch die Erinnerungen ihrer beiden Tanten kannte, die schon so viele Jahre hier gewesen waren, dass sie den Überblick verloren hatten. Bevor sie jedoch ihre Fluchtpläne in die Tat umsetzen konnte, würde sie noch ein letztes Mal die grausig scharfen Zähne ihres Vaters und Urgroßvaters ertragen müssen.
    Lara schlug die Hände vor die Augen und unterdrückte ein Aufschluchzen.
    Lara. Du entstammst dem Geschlecht der Drachensucher. Du schaffst das. Wir sind stark. Wir halten durch. Wir erliegen nie dem Bösen. Verstehst du? Du musst fliehen.
    Tante Bronnie las ihr wie immer die Leviten, aber wie stets lagen auch diesmal Liebe und Zärtlichkeit in ihrer Stimme. Und Sorge und Entschlossenheit. Tante Tatijana dagegen klang traurig und schwach, doch die Liebe war auch bei ihr zu hören, obwohl sie in letzter Zeit kaum noch Energie mit Reden verschwendete. Lara wusste, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war, und hatte Angst, die beiden Frauen zu verlieren.
    »Ich will nicht allein sein«, flüsterte sie in der eisigen Kälte der bläulich schimmernden Grotte. Sie sagte es ihren Tanten laut und nicht im Geiste, weil sie nicht merken sollten, dass sie vor Angst wie gelähmt war. Dieser furchtbare Ort der Qualen, des Todes und der Kälte war ihr Zuhause, und hier hatte sie wenigstens die Tanten und wusste, was sie zu erwarten hatte. Draußen – dort draußen würde sie ganz allein in einer fremden Welt sein.
    Laras Körper zuckte plötzlich hoch, und im selben Moment spürte sie auch schon, wie der Eindringling sich wie Schmutz in ihrem Geist verbreitete. Ein Schrei entrang sich ihr. Ihr Instinkt riet ihr, sich gegen den Befehl zur Wehr zu setzen, aber dann nahm sie ihre ganze Willenskraft zusammen und zwang sich, ruhig dazuliegen und das ergebene Opfer zu spielen. Was gar nicht leicht war, wenn alles in ihr erschauderte und sich von dem immer größer werdenden Fleck in ihrem Geist zurückzog.
    Wehr dich nicht! Bewahr dir deine Kraft, wisperte Tante Bronnies Stimme. Lass ihn glauben, er hätte die Kontrolle! Wir werden alle im selben Moment zuschlagen. Das wird das letzte Mal sein, Kind. Das allerletzte Mal ...
    Lara erstickte fast an dem Schluchzen, das in ihr aufstieg. Jemand anderen in sich zu haben, zu spüren, wie das Böse sich in ihren Körper einschlich, sich in ihr Bewusstsein drängte und ihr seinen Willen aufzwang, ließ Galle in ihr hochsteigen, die ihre Kehle und ihren Mund mit bitterer Säure füllte. Sie rappelte sich auf und machte einen Schritt und dann noch einen, wie eine von unsichtbaren Fäden gelenkte Marionette. Sie konnte jedoch nicht verhindern, dass ihr Instinkt sie drängte, sich zu wehren, und darum widerstand sie der Präsenz des Eindringlings und versuchte, ihn aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen. Ein kleiner Aufstand nur, der ihr allerdings sofort vergolten wurde.
    Wieder ging ein Zucken durch ihren Körper, und bohrender Schmerz fuhr durch ihren Schädel. Das Gefühl von Spinnen, die über ihre Haut krochen, Hunderten von Spinnen, die sie umkrabbelten und sich auf ihr niederließen, sich in ihrem Haar verkrochen und sie in die Kopfhaut bissen, ließ sie wie wild auf ihren Körper einschlagen.
    Lara öffnete den Mund, um zu schreien, aber es kam kein Ton heraus. Sie wusste, dass Razvan – ihr Vater – keine Geduld für Tränen oder Gebettel aufbrachte. Es machte ihn wütend, Schreie oder die weinerliche Stimme eines Kindes zu hören. Laras früheste Erinnerung an ihn war, dass er sie
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