Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten
Autoren: N Wilson
Vom Netzwerk:
wenn er glaubte, was der alte Zauberer bei seiner ersten Reise durch die Fächer in seinem eisigen Thronsaal gesagt hatte. Henry sah die Wand empor auf das Fach Nummer 12. Richard war ihm in jene Welt gefolgt, und der Zauberer hatte gewusst, wer Henry war. Sicher hätte er Henry auch sagen können, woher er wirklich kam. Aber er war ziemlich furchteinflößend gewesen. Henry verdrängte diese Erinnerungen und lenkte seine Gedanken zurück auf die Fächer, die vor ihm lagen. Es gab weder einen Grund zu glauben, dass er von einem angenehmen Ort stammte, noch dass der zerknitterte alte Mann, der auf seinem kalten Thron saß und Maden aß, die Wahrheit gesagt hatte, und ebenso wenig, dass seine Familie noch lebte. Oder, falls sie noch lebte, dass sie
ihn wiederhaben wollte. Wunschkinder wurden im Allgemeinen nicht in irgendwelche Fächer geschoben.
    Aber dann war da immer noch der Raggant. Ragganten waren dazu da, etwas zu finden. Jemand hatte ihn also finden wollen!
    Henry atmete tief ein und blies die Backen auf. Warum hatte Onkel Frank niemals versucht, zurückzukehren? Ob auch er Angst hatte? Andererseits hatte Frank ja noch Dotty und die Mädchen. Und ihn würde niemand in zwei Wochen in einen Bus nach Boston setzen.
    »Zwei Wochen«, sagte Henry laut. Er blickte in die Ecke seines Zimmers, wo Frank vor einer Woche eine Rolle Kaninchendraht und einen Dreißig-Liter-Eimer Gips abgestellt hatte. Der Kaninchendraht sollte die Fächer verschließen und den Gips halten. Seit jenem Tag hatte Frank ihn nicht mehr angefasst. Den Gips hatte er noch angerührt, ihn dann aber stehen gelassen. Jetzt war der Eimer bombenfest durchgehärtet.
    »Ich könnte ja wiederkommen, wenn ich achtzehn bin«, sagte Henry. Aber er glaubte nicht, dass Frank Dotty so lange würde hinhalten können. Ein paar Jahre vielleicht schon – aber sicher nicht länger als fünf.
    Jemand kam die Dachbodentreppe herauf. Henry setzte sich auf und schloss leise das offen stehende Fach.
    Die Doppeltür ging auf und Henrietta kam herein. Sie hatte den Ragganten im Arm. Er sprang schnell ab und hüpfte auf Henrys Bett hinauf.
    Henrietta sog die Luft ein und ihre Augen wanderten zum Fach von Badon Hill. Henry und sie hatten eine ganze Weile
nicht miteinander gesprochen und im ersten Augenblick schwiegen beide.
    »Henrietta«, begann Henry schließlich. »Ich brauche Großvaters Schlüssel.«
    Sie sah Henry in die Augen und gleichzeitig durch ihn hindurch.
    »Es hat keinen Sinn, mich anzulügen«, fuhr Henry fort. »Am Ende ging ja alles ziemlich durcheinander, aber ich weiß, dass ich ihn nicht behalten habe und außer mir bist du die Einzige, die ihn haben könnte.«
    Henrietta verschränkte die Arme und betrachtete die Wand mit den Fächern. Henry sprach weiter. »Ich würde wirklich gern hierbleiben, aber ich kann nicht. Noch zwei Wochen, Henrietta, dann muss ich zurück nach Boston und ins Internat und während der Sommerferien werden sie mich irgendwo unterbringen und ich werde nicht wiederkommen können, bis ich aufs College gehe oder bis ich alt genug bin, um zu Hause auszuziehen.« Henry holte tief Luft. »Ich kann nicht warten, bis sie kommen und mich holen. Ich muss weg. Durch die Pforten. Und du hast den Schlüssel, Henrietta. Du musst ihn mir geben!«
    Henrietta setzte sich neben ihn aufs Bett.
    »Ich weiß«, sagte sie. »Ich habe ihn hinter der Scheune vergraben.«

ZWEITES KAPITEL
    E igentlich hatte Henry Anastasia und Richard im Auge behalten sollen, aber das Risiko, entdeckt zu werden, erschien ihm ziemlich gering. Während die anderen vor dem Fernseher saßen, war er Henrietta leise nach draußen gefolgt. Falls sie ihn irgendwann suchen würden, würden sie wohl kaum hinter der Scheune anfangen.
    Während Henrietta buddelte, hockte er auf einem rostigen Sitz, der lose mit dem unvollständigen Gerippe eines alten Motorpfluges verbunden war und der sich gemeinsam mit Bruchstücken moosbewachsenen Betons und einem Haufen unkenntlicher Metallteile hinter der Scheune auftürmte.
    Henrietta grub bereits ihr viertes Loch. Nach dem zweiten hatte sie auf dem Boden kniend ihren Oberkörper aufgerichtet und verlangt, dass Henry entweder hineingehen oder aufhören solle, ihr auf die Finger zu gucken. Jetzt lehnte Henry den Kopf an die Scheune und sah dem Wetter zu. Es wäre schwer gewesen, das nicht zu tun.
    Er hatte noch nie ein Unwetter im Freien erlebt. Jedenfalls nicht so richtig. Das würde sich in schätzungsweise fünf Minuten, wie er glaubte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher