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Flammende Fesseln

Flammende Fesseln

Titel: Flammende Fesseln
Autoren: Vanessa Vulgaris
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fahlen Licht wirkte ihr Gesicht, eingerahmt von dunklem Haar, so blass wie das einer Leiche. „Hilfe!“ schrie sie, „Leute! Kommt raus!“ Gregor begriff, dass er schnell handeln musste; er wickelte sich in seinen seidenen Kimono und trat rasch vor die Tür. „Was ist los, Deliah?“
    Sie kam auf ihn zu, die Arme flehend ausgestreckt, mit hilfesuchendem Blick. „Marjorie“ hob sie an, „sie ist…tot! K-Kommt mit!“ sagte sie zu dem kleinen Kreis, der sich um sie gebildet hatte und setzte sich in Bewegung. Wortlos folgten sie ihr und betraten das Zirkuszelt.
    Hinter einem der Vorhänge stand Marjories Schminktisch; davor auf einem Stuhl saß – oder besser: hing - Marjorie. Ihr Oberkörper war nach vorn gesunken, den Kopf zwischen ihren Kosmetikutensilien seitlich auf der Tischplatte. Ihre rotgoldenen Locken flossen sanft ihren Rücken hinunter, wurden jedoch auf Höhe der linken Schläfe von einem getrockneten Rinnsal roten Blutes durchzogen, das aus einer großen Wunde gedrungen war. Ihre Augen waren geöffnet und blickten glanzlos und leer ins Nichts.
    Einige der Artisten stießen leise Laute des Entsetzens aus, während andere nur stumm und mit großen Augen auf die tote Drahtseilkünstlerin starrten. Keiner wagte, etwas zu sagen, bis eine tiefe, ruhige Männerstimme die Stille durchbrach. „Ruft die Polizei und den Notarzt“ sagte Mister Figgins, der Zirkusdirektor, bevor er sich an seine Angestellten wandte. „Und ihr – geht zurück in eure Wohnwagen und beruhigt euch. Ich komme zu euch, wenn die Polizei da war.“ Seine Stimme bebte, und man sah ihm an wie viel Kraft es ihn kostete, die Fassung zu wahren. Gregor betrachtete den weißhaarigen Mann und bewunderte ihn insgeheim für den Stolz und die Würde, mit der er seine Pflicht als Direktor erfüllte. Mr. Figgins hatte Marjorie am längsten gekannt; sie war eine der ersten Artistinnen im Zirkus Zaragon gewesen. Mit ihrem nackten Seiltanz hatte sie bis zuletzt alle verzaubert - sie war ihnen allen eine gute Freundin und vielen von ihnen auch mehr gewesen.
    Borgo schluchzte ungehemmt an Evas Schulter, während die bärtige Dame ihn langsam zurück zu den Wohnwagen führte. Gregor sah ihnen nach, bevor er seinen Blick ein letztes Mal über die Leiche schweifen ließ. Wer hatte einen Grund, so etwas zu tun? fragte er sich. Und was wird nun mit dem Mädchen?
    Zur selben Zeit tanzten durch die Dunkelheit unweit des Graysoul-Anwesens helle Flammen; sie wirbelten durch die Luft und bildeten bewegliche Muster aus rotem und weißem Licht. Geschickt bewegte sich Helena durch die Nacht, ließ ihr Becken kreisen und jonglierte mit gleißenden Fackeln, die sie anmutig auffing, um sie im nächsten Moment erneut in den Abendhimmel zu schleudern. Völlig außer Atem ließ sie sich wenig später ins Gras fallen, fest entschlossen, entgegen Mister Graysouls Verbot am nächsten Abend den Zirkus zu besuchen.

Gefesselt
    Als Helena sich am folgenden Abend dem großen Zelt des Zirkus Zaragon näherte, bemerkte sie eine große Menschentraube direkt am Eingang. Schon von weitem hörte sie aufgebrachte Stimmen; den Satzfetzen entnahm sie, dass die heutige Abendvorstellung wohl ausfallen würde. „Aber wir haben bezahlt!“ schrien einige Anwesende, die sofort von der Frau im Kartenhäuschen beschwichtigt wurden: „Schon gut, schon gut - Sie bekommen Ihr Geld zurück!“
    Helena war froh, dass sie neben den Freikarten auch den Brief mitgenommen hatte, den sie der Kartenverkäuferin nun vorlegen konnte. Diese wirkte verblüfft, knickste dann jedoch tief vor der jungen zukünftigen Gutsherrin. „Herzlich willkommen, gnädiges Fräulein…bitte, gehen sie einfach hinein! Der Zirkusdirektor wird bald da sein; schauen Sie sich in der Zwischenzeit ruhig ein bisschen um.“ Helena grinste über die Förmlichkeit der Verkäuferin, während sie den Eingang des Zeltes durchquerte. Herzlich willkommen, gnädiges Fräulein…
    Das Lächeln schwand mit einem Schlag aus Helenas Gesicht, als ihre Handgelenke jäh gepackt wurden. "Wen haben wir denn da?“ fragte eine Männerstimme hinter ihr und drückte das Fleisch an ihren Gelenken so fest zusammen, dass sie leise aufschrie. Ein weiterer Mann trat aus dem Rund der Manege auf sie zu; auf seinem schmalen Gesicht spielte ein hinterhältiges Grinsen. „Sie ist hübsch“ sagte er über Helenas Schulter hinweg zu seinem Komplizen. „Los, bind‘ sie fest – wir wollen sie uns mal genauer ansehen!“ Sein dreckiges Lachen scholl
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