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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition)
Autoren: Rhoda Janzen
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die Idee auf die mennonitischen Dörfer übertrug, die bald zu Lebensräumen strenger Gleichheit und Hygiene wurden. Cornies erließ eifrig Dekrete, was die Dörfler essen sollten und was nicht. Am Ende begann er sogar, tägliche Menüs durchzusetzen, und drohte, jeden, der sich widersetzte, öffentlich verprügeln zu lassen. Montags gekochte Kartoffelknödel! Dienstag, Knödel vom Vortag! Mittwoch, Rückenspeck mit gebratenen Knödeln! Und so weiter. Wehe dem, der Lust auf Tacos hatte.
    Johann Cornies’ Spitzname war der »Baum-Teufel«, weil er in seiner mächtigen Vision einer neuen und verbesserten Ukraine alle Mennoniten mit Schlägermethoden dazu brachte, entlang ihrer Grundstücksgrenzen Obstbäume zu pflanzen. Außerdem mussten sie einen einzelnen Obstbaum vor jedes Haus pflanzen, in jedem Ort, an jeder Straße, dreißig Fuß vor jeder Haustür.
    Natürlich fingen manche der mennonitischen Dörfler an, über Johann Cornies’ Gesetzgebung zu meckern. Die Aufrührer kamen auf eine todsichere Idee, wie sie ihrer Meinung zu den Baumgesetzen Luft machen konnten. Hören Sie sich an, was sie sich als Form des zivilen Widerstands ausdachten, und Sie werden zustimmen, dass diese gewiefte Geste ein feines Beispiel für mennonitischen Protest ist. Die Dörfler beschlossen, die Bäume kopfüber einzupflanzen. Da es in der ukrainischen Steppe zu jener Zeit nicht viele Bäume gab, konnten die Bauern, wenn sie von Johann Cornies’ Schlägertrupps zur Rede gestellt wurden, einfach so tun, als hätten sie es nicht besser gewusst. »Leute«, sagten sie schulterzuckend und zeigten auf den Aprikosenbaum, der seine Wurzeln in die Höhe reckte, »wir haben das blöde Ding genau so eingepflanzt, wie ihr es uns gesagt habt. Dreißig Fuß von der Haustür entfernt. Ihr könnt ja nachmessen.«
    Ich finde diese Geste der Subversion aus dem neunzehnten Jahrhundert tapfer, geistreich und ungeheuer effektiv. Sie erinnert mich an ähnliche Trotzgesten aus der heutigen Zeit, zum Beispiel wenn eine abgewiesene Sängerin bei American Idol in ihrem Prinzessin-Leia-Kostüm einen aufgeblasenen Vogel nach Simon Cowell wirft und »Leck mich!« ruft.
    Also, nochmal zur Erinnerung: Mennoniten, ja. Amische, nein.
    Während der mennonitischen Besetzung der Ukraine bildeten sich die Mennoniten ein, sie wären von Gott berufen, die örtlichen Russen und Juden aus der Dunkelheit ans Licht zu führen. Es war, als hielten die Mennoniten die einheimische Bevölkerung für einen Haufen Legastheniker, die es von alleine einfach nicht schafften. Ein paar hundert Jahre lang hatten die Mennoniten ein winziges Ego-Problem. Aber wer hätte das an ihrer Stelle nicht? Jetzt mal im Ernst, ihre Hygiene war super; ihre Öfen waren gut belüftet; ihre Suppen voll mit köstlichen Zwetschgen. Sie hatten so viel, auf das sie stolz sein konnten. Lebten sie in Lehmhütten wie die russischen Kleinbauern? Nein, Ma’am. Heirateten sie Leute, die nicht ihrer Sippe angehörten? Niemals. Spendierten sie den Judenplan für das ideale jüdische Dorf? Aber natürlich! Egal was für ein Problem Sie mit der Dorfplanung hatten, die Mennoniten konnten es lösen, vor allem wenn Ihr Problem darin bestand, dass Sie Jude, Russe oder Nogai waren! Der mennonitische Käse sucht seinesgleichen. Die Mennoniten erfreuten sich drei Jahrhunderte lang unangefochtener Überlegenheit. Ist ein bisschen Selbstgefälligkeit nicht verzeihlich, wenn man bedenkt, wie gut die mennonitische Wurst schmeckt?
    Es war nicht so, dass die Mennoniten die russischen Kleinbauern oder die Juden k onvertieren wollten; tatsächlich blieben die Mennoniten, theologisch gesehen, während ihrer vierhundertjährigen Geschichte ziemlich für sich. Sie hatten keine missionarischen Ambitionen wie etwa die frisch rasierten jungen Männer in kurzärmligen Hemden, die mit ihren cordbezogenen Bibeln an Ihrer Tür klingeln und mit ernster Miene fragen, ob Sie schon mal über die Hölle nachgedacht haben. Das mennonitische Überlegenheitsgefühl hatte nichts mit unserem Glauben zu tun, sondern richtete sich auf konkrete Dinge wie Arbeitsgewohnheiten und Hygiene. Es war nicht unsere Schuld, dass die gesamte Urbevölkerung träge, unmotiviert und mit einem schlechten wirtschaftlichen Urteilsvermögen gestraft war, aber wir konnten ihnen helfen!
    Lassen Sie mich Ihnen ein anschauliches Beispiel geben. Irgendwann las ich einen spannenden Text mit dem Titel Erinnertes Erbe: Bebilderte Geschichte der Mennoniten in Preußen und Russland
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