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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser
Autoren: Sandra Lüpkes
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Stimme, doch der Junge schien den Spaß verstanden zu haben, denn er sprang fröhlich auf und salutierte.
    «Melde mich gehorsamst: Ingo Palmer. Ich bitte vielmals um Entschuldigung, mein Angriff mit dem Gummiball war keine Absicht!»
    Ich musste laut lachen, erstaunlich, wie redegewandt der Kleine war, und auch das Mädchen stand nun auf und blickte mich mit fröhlicher Neugierde an. «Und ich bin Jolanda Pietrowska.»
    «Du bist die Pianistin, oder?», sagte ich. «Frau Dr.   Schewe hat mir von dir erzählt. Ich verstehe zwar nicht viel von Musik, aber ich freue mich schon darauf, dich spielen zu hören.»
    Sie schien sich über meine Worte zu freuen, verlegen strich sie mit dem Fuß durch die feinen Steine. «Da sollten Sie erst mal Ingo hören.»
    «Spielst du auch Klavier, Ingo?»
    «Nein, ich bin unmusikalisch. Aber ich kann dichten», sagte er stolz.
    Jolanda sah bei diesen Worten genauso stolz aus wie er.
    Ich setzte mich auf die Fensterbank, lehnte mich gegen denHolzrahmen und fühlte die Wärme des Sommertages auf meinem Gesicht. Liekedeler würde mir viel Spaß machen. «Ein Dichter und eine Musikerin. Alle Achtung. Da habe ich aber einen schweren Stand. Ich bin hier nämlich nur für die Werbung zuständig. Nichts Besonderes also. Mein Name ist Okka Leverenz.» Dann warf ich ihnen den Gummiball entgegen, den ich unauffällig in meiner Hand verborgen hatte. Prompt sprang er gegen einen Stein, prallte in einem flachen Winkel ab und flog unaufhaltsam direkt in den sumpfigen Graben, der zehn Meter weiter das Ende des Grundstückes markierte. «Oh», rief ich und schlug mir die Hand vor den Mund.
    «Lassen Sie mal, den holen wir raus!», sagte Ingo Palmer eifrig und rannte humpelnd los.
    «Kommt gar nicht infrage. Ich hab’s vermasselt, dann bin ich auch dafür zuständig, das Ding vor dem Ertrinken zu retten», sagte ich, schaute mich schnell um, und als ich mir sicher war, dass keiner meiner neuen Kollegen in der Nähe stand und mich beobachtete, sprang ich aus dem Fenster.
    Jolanda sah mich mit großen Augen an, folgte mir dann aber hüpfend zum Graben. Ingo hatte bereits einen langen Ast gefunden, der sich an der Spitze gabelte und ideal war, um im trüben dunklen Wasser nach einem kleinen Ball zu fischen.
    «Ich glaube, er ist weiter links reingefallen», sagte Jolanda und stemmte dabei ihre schlanken Hände in die Hüfte. Wichtig und gebannt verfolgte sie meine stochernde Suche. Ich schritt ein Stück weiter nach vorn, der Grabenrand war ein wenig schlammig, also zog ich mit die Lederschuhe von den Füßen, warf sie im hohen Bogen ins trockene Gras und stieg dem dunklen Wasser entgegen.
    «Fallen Sie da bloß nicht rein, die Suppe stinkt nach Furz», warnte Ingo.
    «Das war aber eben nicht sehr poetisch», kicherte ich und rutschte vorsichtig noch etwas tiefer. Der Junge ergriff von hinten meine Bluse und der dünne Sommerstoff spannte eng über meinem Busen.
    «Ich halte Sie schon fest, keine Panik!»
    Endlich tauchte ein regenbogenfarbenes Etwas zwischen den zwei Zweigen auf. «Ich hab ihn!», johlte ich und balancierte den Stock mit der Beute hinauf, bis alles sicher auf dem kleinen Rasenstück landete. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und entdeckte erst danach, viel zu spät, dass meine Hände vom moosigen Holz ganz grün waren. «Na prima! Und, wie sehe ich aus?», fragte ich die beiden Kinder, die mich bewundernd und ehrfürchtig anstarrten.
    «Wie eine Außerirdische, ganz grün im Gesicht!», lachte Jolanda.
    «Ich finde Sie wunderschön!», sagte Ingo und ich musste mich anstrengen, damit er mir nicht anmerkte, wie sehr mich seine ernste, feierliche Miene in diesem Moment amüsierte.
    Alles war in Ordnung, dachte ich. Der Flummi war gerettet, die Kinder waren wie aus Zucker und das Leben hier begann mit einem wilden, schönen Lachen. Doch dann ertönte der Gong und die Kinder sagten: «Au Backe, Mittagessen!» Und ich stand da, mit klumpiger Erde bis zum Schienbein und einem grün gestreiften Gesicht.
    «Ab, marsch, Händewaschen!», sagte ich und die beiden Kinder liefen davon.
     
    «Ein Fallbeispiel, eine Erfolgsstory, das ist es, was wir bringen müssen. Glückliche Eltern mit erfolgreichen Kindern in einer Fernsehshow, das wäre es. Oder ein Buch, natürlich von einem Ghostwriter geschrieben, in dem eine Mutter die Entwicklungihres mäßig begabten Kindes zum kleinen Genie bei uns beschreibt. Was glauben Sie, Frau Leverenz?» Jochen Redenius, einer der Pädagogen, die seit der
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