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Finger weg Herr Doktor!

Finger weg Herr Doktor!

Titel: Finger weg Herr Doktor!
Autoren: Richard Gordon
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etwas nie bekommen. Ich zog es immer vor, meine Aufgaben hier in völliger Anonymität zu erfüllen. Bitte machen Sie Ihr Kleid länger, Schwester. Es ist reichlich indezent. Harry, wo sind Sie? Ich gehe jetzt zum Dean.«
    Sir Lancelot rieb sich die Hände wie vor einem guten Essen oder einer interessanten Operationsliste, dann wälzte er sich durch den belebten Hauptkorridor wie ein Panzer durch ein Kornfeld.
    Das Büro des Dekans lag im Erdgeschoß der Internen Abteilung in einem Seitentrakt des Spitalsgebäudes. Sir Lancelot hatte erst den halben Weg zurückgelegt, als er plötzlich mit einem Schrei innehielt: »Sie?«
    »Guten Morgen, Sir Lancelot«, sagte ein junger Mann in langem weißem Mantel mit freundlichem Gesicht, gelocktem Haar und nettem Schnurrbärtchen, ein Stethoskop um den Hals. »Ich dachte, Sie lassen sich’s noch bei den Geishas gutgehen? Wie war der Tadsch Mahal bei Mondschein?«
    »Ich habe den Tadsch Mahal nicht gesehen, weil ich indisponiert war. Was zum Teufel tun Sie hier, Grimsdyke? Ich dachte, die Klinik wäre Sie schon längst losgeworden.«
    »Ich vertrete einen jungen Sekundararzt, der auf Flitterwochen ist.«
    »Hm. Wie ich Sie kenne, ist es ein Wunder, daß
    Sie sich nicht angeboten haben, ihn auf der Hochzeitsreise zu vertreten.«
    »Ich glaube, das hätte ich nicht sehr genossen, Sir. Der Sekundararzt ist eine >Sie<.«
    »Ach so... Und weiter als bis zum Vertreter eines Sekundararztes haben Sie es bisher nicht gebracht, in Ihrem Alter?«
    »Ich bitte Sie, Sir.« Grimsdyke zwirbelte gequält seinen Schnurrbart. »So alt bin ich gar nicht. Heutzutage sind die sieben Alter eines Mannes etwas ineinandergeschoben. Es gibt nur noch Jugend und schlotternde Senilität.«
    Sir Lancelot starrte ihn böse an. »Und in welche Kategorie gehöre ich denn, bitte? Ich bin ehrlich enttäuscht, daß Sie die ärztliche Erfolgsleiter nicht höher hinaufgeklettert sind. Auch wenn die mittleren Ränge zugegebenermaßen so überfüllt sind wie die Oxford Street bei Ausverkauf, und dieselbe Ellbogentechnik angewendet wird. Nicht genug, daß Sie unser ältester Student waren, wollen Sie jetzt unser ältester Sekundararzt werden. Wenn es Ihr Ehrgeiz ist, der Peter Pan der Ärzteschaft zu sein - bitte!«
    »Ich habe andere Interessen, Sir«, verteidigte sich Grimsdyke.
    »Medizinische Mondscheinpartien, was? Davon gibt es genug: Ärzte, die sich abrackern und jedes Wochenende hart arbeiten, damit vom Glück begünstigte Kollegen in mittleren Jahren Golf spielen können. Was kann man denn anderes erwarten, bei der jämmerlichen Bezahlung im Spital.«
    »Ich nahm diesen Job eigentlich als Fortbildungskurs an. Man ist überhaupt nicht mehr auf dem laufenden. Ich weiß jetzt, wieso ich beharrlich mein
    Ziel verfehlt habe: ich habe so lange studiert, daß jede Behandlungsmethode, die man mir anfangs beigebracht hatte, sich im weiteren Verlauf als überholt und in der Folge als höchst gefährlich herausstellte.«
    »Bleiben Sie mir damit vom Leib!«
    »Doch, doch, Sir, Sie sind in Pension -«
    »Das werden wir noch sehen«, antwortete Sir Lancelot kurz. »Jetzt darf ich aber den Dean nicht länger warten lassen. Ich wollte schon vor einer Stunde bei ihm sein.«

2

    Dr. Lionel Lychfield, Mitglied des Königlichen Kollegiums der Internisten und Dekan der medizinischen Fakultät von St. Swithin, war ein kleiner Mann und sah mit seinem spitzen Glatzkopf, großen spitzen Ohren und starken Brauen wie ein reizbarer Gartenzwerg aus. Selbst an guten Tagen war er nervös und launenhaft und neigte zu Schlamperei und Vergeßlichkeit; wäre er statt Internist Chirurg geworden, hätte er bestimmt bei Operationen so manches Instrument im Inneren seiner Patienten liegengelassen. Da er seit einer Woche wußte, daß Sir Lancelot nicht nur wieder in England war, sondern auch die Absicht hatte, in St. Swithin aufzutauchen, war er unberechenbarer und reizbarer denn je. Heute früh hatte er es kaum über sich gebracht, sein Haus zu verlassen. Aber der Brief, der auf seinem Schreibtisch im Spital auf ihn wartete, löschte jeden Gedanken an Sir Lancelot und alles andere aus.
    Er saß auf der Kante seines hochlehnigen Lederstuhls in einem Büroraum, an dessen Wänden Mahagoniregale voll ledergebundener Bücher standen, darüber die Büsten Platos und Lord Listers sowie eine schön gerahmte Reproduktion von Luke Fildes’ Gemälde »Der Arzt«. Der Brief, der ihn so bewegte, lag vor ihm auf der Schreibunterlage. Der Dekan beugte sich
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