Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum
Autoren: George R.R. Martin
Vom Netzwerk:
schön dumm, wenn er annahm. Aber nun, im Angesicht von Yorks Reichtum, spürte er, wie seine Vorbehalte dahinschmolzen. »Ein neues Boot, sagen Sie?« erkundigte er sich überwältigt.
    »Ja«, entgegnete York, »und das liegt im Wert noch über dem, was ich für die Hälfte Ihrer Frachtlinie bezahlen würde.«
    »Wieviel . . . «, begann Marsh. Seine Lippen war wie Pergament. Er befeuchtete sie nervös. »Wieviel sind Sie bereit auszugeben, um dieses neue Boot bauen zu lassen, Mister York?«
    »Wieviel ist nötig?« stellte York die Gegenfrage.
    Marsh nahm eine Handvoll Goldmünzen aus der Kiste und ließ sie durch die Finger gleiten und wieder zurückrieseln. Dieser Glanz, dachte er, aber er sagte nur: »Sie sollten nicht so viel Geld mit sich herumschleppen, York. Es gibt Gauner, die würden Sie schon für eine einzige dieser Münzen umbringen.«
    »Ich kann mich schützen, Captain«, sagte York. Marsh sah wieder diesen Ausdruck in den Augen des anderen und fror. Ihm tat der Räuber leid, der versuchen würde, sich an Joshua Yorks Gold zu vergreifen.
    »Würden Sie mit mir einen Spaziergang machen? Auf dem Flußdeich?«
    »Sie haben mir noch keine Antwort gegeben, Captain.«
    »Sie werden Ihre Antwort bekommen. Aber zuerst begleiten Sie mich. Ich muß Ihnen etwas zeigen.«
    »Na schön«, sagte York. Er schloß den Deckel der Kiste, und der weiche, gelbe Glanz verschwand aus dem Raum, der plötzlich eng und düster erschien.
    Die Nacht war kühl und feucht. Die Boote schickten ihre Geräusche in vielfältigen Echos über das Wasser, als sie durch die dunklen und verlassenen Straßen schlenderten, York mit geschmeidiger Grazie und Marsh mit schwerem, ehrfurchtgebietendem Schritt. York trug einen weiten Lotsenmantel, der wie ein Cape geschnitten war, und einen hohen alten Biberhut, der im Licht des Halbmondes einen langen Schatten warf. Marsh starrte in die dunklen Gassen zwischen den tristen Ziegelbauten der Lagerhäuser und versuchte eine Aura solider, bedrohlicher Kraft zu erzeugen, die ausreichte, irgendwelche Strauchdiebe abzuschrecken.
    Der Uferdeich war dicht mit Dampfbooten belegt, mindestens vierzig waren an Pollern und Pontons festgemacht. Selbst um diese Zeit war es nicht völlig still. Hohe Frachtstapel warfen im Mondlicht schwarze Schlagschatten, und sie kamen an Schauerleuten vorbei, die an Kisten und Heuballen lehnten, Flaschen herumgehen ließen oder ihre Maiskolbenpfeifen rauchten. In den Fenstern von einem Dutzend oder mehr Booten brannte immer noch Licht. Das Missouri-Postschiff, die Wyandotte , war erleuchtet und heizte ihre Kessel an. Sie gewahrten einen Mann, der hoch oben auf dem Texasdeck eines großen Paketbootes mit Seitenrädern stand und neugierig auf sie herabstarrte. Abner Marsh geleitete York an ihm vorbei, vorbei auch an einer Reihe dunkler, stummer Dampfboote, deren hohe Schornsteine vor den Sternen wie eine Reihe verkohlter Baumstämme mit seltsamen Blüten an der Spitze erschienen.
    Schließlich blieb er vor einem großen, prachtvollen Raddampfer stehen. Fracht türmte sich auf dem Hauptdeck auf, und die Brücke war zum Schutz gegen unerwünschte Eindringlinge hochgezogen, während das Schiff sich an dem verwitterten alten Liegeponton rieb. Selbst im Halbdämmer des Halbmondlichtes war die Herrlichkeit des Bootes zu erkennen. Kein Dampfer am ganzen Uferdeich war so mächtig und so stolz.
    »Ja?« sagte Joshua York ruhig und respektvoll. In diesem Augenblick hatte sich alles entschieden, dachte Marsh später - es war der Respekt in seiner Stimme.
    »Das ist die Eclipse «, sagte Marsh. »Sehen Sie, der Name steht auf dem Radkasten.« Er zeigte mit seinem Spazierstock darauf. »Können Sie es lesen?«
    »Sehr gut. Ich verfüge über eine hervorragende Nachtsicht. Ist das denn ein besonderes Boot?«
    »Teufel, ja, sie ist etwas Besonderes. Es ist die Eclipse . Jeder verdammte Mann und Junge auf diesem Fluß kennt sie. Sie ist schon alt - sie wurde ’52 erbaut, vor fünf Jahren. Aber sie ist immer noch herrlich. Sie soll 375 000 $ gekostet haben, so erzählt man sich, und das ist sie auch wert. Es hat noch nie ein größeres, schöneres, herrlicheres Schiff gegeben als das hier. Ich habe sie genauestens untersucht, hab’ sogar auf ihr eine Passage gebucht. Ich weiß Bescheid.« Marsh breitete die Arme aus. »Sie mißt 365 Fuß mal 40 Fuß, und ihr Großer Salon ist 330 Fuß lang, und so etwas wie sie haben Sie noch nie gesehen. Am einen Ende steht eine goldene Statue von Henry Clay,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher