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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko
Autoren: Stanislaw Lem
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die Helligkeit im Roembden bedeutete ägyptische Finsternis im Gral. Marlin oder sein Dispatcher hatten wohl schon die Bedienungsmannschaft der Solektoren aus den Betten geholt, damit sie die kosmischen Spiegel mit den Steuertriebwerken wieder an die gehörige Stelle brachten. Inzwischen näherten sich die beiden Lichtsäulen immer mehr, und m der einen blitzte bereits der vereiste Rücken des östlichen Grats.
       Eine zusätzliche Freude der Leute vom Roembden war die für den Titan seltsame Klarheit der Atmosphäre in diesem Krater. Dadurch konnte man wochenlang am gestirnten Firmament die gelbe, von flachen Ringen umgebene Scheibe des Saturns bewundern. Fünfmal weiter entfernt als der Mond von der Erde, erschien der aufgehende Planet in einer Große, die Neulinge immer wieder verblüffte. Ohne Fernglas gab er die vielfarbigen Streifen seiner Oberfläche preis, dazu die schwarzen Schattentropfen, die seine näheren Monde während ihrer Finsternisse warfen. Dieses Schauspiel wurde möglich durch einen borealen Luftstrom, der so heftig durch die Felsengurgel fegte, daß er einen Föhneffekt erzeugte. Nirgendwo anders auf dem Titan war es so warm wie im Roembden.
     
       Die Bedienungsmannschaft hatte die Solektoren entweder noch nicht wieder im Griff, oder wegen des Alarmzustands konnte sich keiner damit befassen, jedenfalls zog der Lichtstreif bereits über den Boden des Kessels. Es wurde taghell, der Jeep wäre ohne die Scheinwerfer ausgekommen. Der Pilot sah die grauen Betonplatten rings um seine HELIOS. Jenseits dieser Fläche, dort, wo sie hinfuhren, erhoben sich wie versteinerte Stämme monströser Bäume vulkanische Korken, die einst aus seismischen Schußlöchern gebrochen und seit Jahrmillionen erstarrt waren. In der perspektivischen Verkürzung sahen sie aus wie die zertrümmerte Säulenhalle eines Tempels und ihre huschenden Schatten wie die Zeiger von Sonnenuhren, die eine fremde, hastende Zeit anzeigten. Der Jeep fuhr an dieser unregelmäßigen Palisade vorüber. Er schaukelte, die Elektromotoren jammerten leise, das flache Gebäude lag noch im Halbdunkel, aber man sah dahinter bereits zwei schwarze Silhouetten aufragen wie gotische Kirchtürme.
       Ihre tatsächliche Größe konnte der Pilot erst abschätzen, als er ausgestiegen war und mit Gosse näher heranging.
       Solche Kolosse hatte er noch nie gesehen. Er hatte noch keinen Diglator gesteuert, aber das hatte er nicht zugegeben. Kleidete man eine solche Maschine in haariges Fell, so verwandelte sie sich in King Kong. Die Proportionen waren weniger menschlich als anthropoidal. Die Beine aus Brückengittern kamen senkrecht herab und gingen in die Füße über, die — gewaltig wie Panzer — reglos im Geröll steckten. Die turmgleichen Schenkel führten m einen schüsselförmigen Kreis, und in diesem saß wie ein breitgebauter Schiffsrumpf der eiserne Korpus.
       Die Hände an den oberen Extremitäten sah er erst, nachdem er den Kopf weit in den Nacken gelegt hatte. Sie hingen am Leib herunter wie herabgelassene Kranausleger mit stahlhart geballten Fäusten. Beide Kolosse waren ohne Kopf, und was man von weitem für Türmchen halten konnte, erwies sich jetzt vor dem Hintergrund des Himmels als Antennenanlage, die jeweils aus dem Rücken ragte.
       Hinter dem ersten Diglator stand — seinen Panzer mit dem gekrümmten Ellenbogengelenk fast berührend, als habe er ihn stoßen wollen und sei mitten in der Bewegung erstarrt — ein zweiter, ihm ähnlich wie ein Zwilling. Da er sich etwas weiter weg befand, war in seiner Brust das blitzende Glas eines Fensters zu sehen. Das war die Steuerkabine. „Das ist Kastor, und das ist Pollux“, vollzog Gosse die Vorstellung. Er ließ das Licht eines Handscheinwerfers über die Riesen streifen. Der Strahl holte aus dem Dunkel die Panzer des Beinschutzes, die Schutzschilde an den Knien und am Rumpf, schwarzglänzend wie der massige Leib eines Wals.
       „Haartz, dieser Trottel, hat sie nicht mal in den Hangar steuern können“, sagte Gosse. Er tastete auf der Brust nach dem Griff für die Klimatisierung. Der Atem hatte das Glas seines Helmes beschlagen. „Vor diesem Hang hat er gerade noch bremsen können…“
       Der Pilot konnte sich denken, warum dieser Haartz die beiden Kolosse in die Felskluft geklemmt und lieber dort stehengelassen hatte. Es lag an der Trägheit der Masse, Nicht anders als ein Hochseeschiff gehorcht die selbstschreitende Maschine dem Steuermann um so
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