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Feuerbande

Feuerbande

Titel: Feuerbande
Autoren: Birgit Otten
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antwortete ich und widerstand dem Impuls, mit der Hand über die weiche Pferdeflanke zu fahren. Es war ein schönes, kräftiges Tier – mit Tieren konnte ich viel besser umgehen als mit Menschen.
    „Jennan. So.“ Er musterte mich kritisch von Kopf bis Fuß. „Und was glaubst du, wen du vor dir hast, Jennan?“
    „Ich weiß es nicht, Herr“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Aber du hältst mich von der Arbeit ab .
    „So, du weißt es nicht. Und wie sehe ich für dich aus?“
    Wie ein aufgeblasener Windbeutel, der mir die Zeit stiehlt . Was sollte dieses Spielchen hier?
    „Wie ein Edelmann, Herr“, erklärte ich. „Auf dem Weg zu Lord Hrothgars Burg, vielleicht.“
    Er nickte zufrieden, sehr zufrieden. „Genau genommen, bin ich sein Bruder. Lord Raymon. Wir sind einander doch ähnlich, oder?“
    Er war sicher ein wenig verrückt. Aber es stimmte, eine gewisse Ähnlichkeit war da, auch darüber hinaus.
    „Ich sehe Lord Hrothgar nicht allzu oft“, erklärte ich. „Wenn ich jetzt gehen dürfte, Herr... ich muss mich um dieses Feld hier kümmern. Eures Bruders Land.“
    „Ich weiß.“ Er tupfte sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. „Deshalb bin ich ja schließlich hier. Um zu sehen, wie mein werter Bruder die Ländereien unseres Vaters verwaltet.“ Und er musterte mich wieder eindringlich und von oben herab von Kopf bis Fuß.
    Da ballte sich mir unwillkürlich die rechte Hand zur Faust.
    „Ich gehöre nicht zu den Ländereien, Herr“, entfuhr es mir, obwohl ich die Zähne zusammengebissen hatte.
    „Alles, was auf seinem Land lebt, steht unter der Befugnis meines Bruders“, betonte er spitz. „Vergiss das nicht, Bauer, ist das klar? Du bist ein recht gut gebauter Bursche und hast sicher auch noch eine ebensolche Schwester, die sich etwas verdienen will. Schick sie heute Abend an diese Stelle. Aber sorge dafür, dass sie sich vorher wäscht.“
    Nur kurz tauchte das drohende Gesicht meines Vaters vor meinem inneren Auge auf, doch der Zorn fegte es wie ein Blitz zur Seite. Meine Wut verselbständigte sich, doch mein Verstand war immer noch klar genug, diesen Gockel nicht vom Pferd zu stoßen, wie ich es am liebsten getan hätte. Stattdessen zog ich es vor, zu stolpern und dabei mit der Hand in die Zügel des Pferdes zu geraten, so dass es vor Schreck laut aufwieherte und einen Satz zurück machte, der seinen Reiter mit Schwung aus dem Sattel schleuderte.
    Und dann geschah etwas sehr Merkwürdiges.
    Im selben Moment, als der Edelmann auf dem Boden aufschlug, erschien eine Wolke aus Dunst um ihn her, und als diese Wolke verschwunden war, lag da ein ganz anderer Mann auf dem Boden. Er war kleiner und dicker, in unscheinbare Gewänder aus grauem und braunem Tuch gehüllt, und er wimmerte und hielt sich den rechten Fuß, der in abgetragenem Leder mit Grasflecken steckte.
    Ich muss wohl ziemlich dumm dreingeblickt haben, denn der kleine Mann giftete mich schmerzverzerrt an: „Was stehst du da und gaffst, Bauerntölpel, und hast noch nicht mal eine Ahnung, was du da angerichtet hast? Was soll ich denn jetzt bloß ihnen sagen! Au, verdammt, mein Fuß, mein Fuß...“
    Ich verstand überhaupt nichts mehr. Dafür kniete ich mich vor ihn hin und betastete sein Fußgelenk, obgleich er mich daran zu hindern suchte.
    „Pass doch auf, wo du hinfasst, du Tölpel... au...“
    Ich legte den Fuß vorsichtig wieder ab. „Es scheint nichts gebrochen zu sein“, meinte ich. „Nur ganz schön verstaucht. Ihr solltet besser Euren Stiefel ausziehen, damit man es bandagieren kann.“
    „So?“ Sein Blick war immer noch voll Zorn. „Was verstehst du denn schon davon?“ Immerhin zog und zerrte er jetzt an dem Stiefel, bis er aufstöhnend die Hand sinken ließ. „Es ist zwecklos. Ich bekomme ihn nicht aus. Der Knöchel ist wohl... zu stark geschwollen.“
    „Dann müssen wir das Leder aufschneiden. Und ein wenig verstehe ich schon davon, Herr. Ich habe das schon bei Tieren gemacht.“
    „Bei – Tieren!“ Wieder versuchte er, das Schuhwerk auszubekommen, doch es war abermals vergeblich. „Sehe ich vielleicht aus wie ein Tier? Wie eine deiner Kühe vielleicht? Oder irgendein dummes Schaf?“
    „Nein, Herr“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Aber Ihr seht auch nicht so aus wie das, was Ihr vorgegeben habt, zu sein. Vielleicht könnt Ihr mir erst mal erklären...“
    „Erklären!“ Er schnaubte, doch jetzt, wo er sich seiner Hilflosigkeit bewusst wurde, wurde er deutlich zugänglicher. Er ließ mich
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