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Fettnaepfchenfuehrer Italien

Fettnaepfchenfuehrer Italien

Titel: Fettnaepfchenfuehrer Italien
Autoren: Sandro Mattioli
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Hierarchie höher stünde, gäbe ihm das nicht das Recht, Trombetta so zu kritisieren. Steht er niedriger, ist es sogar noch schlimmer. Vor der Hierarchiegläubigkeit in Italien muss man sich eben immer in Acht nehmen, auch Dottore Weiss.
    Es war recht illusorisch zu glauben, dass unter den Bedingungen, wie sie bei diesem Treffen herrschten, offene Diskussionen zustande kommen können: Die Mitarbeiter haben Angst um ihren Arbeitsplatz, sie werden kritisiert, dazu sitzt ihr Chef mit am Tisch. Vielleicht wird es sich ja bei zukünftigen Besprechungen als nützlich erweisen, dass die Mitarbeiter gesehen haben, dass auch ihr Chef Ziel von Kritik ist. Für diese Sitzung aber hätte sich eine Diskussion, wie sie Paul Weiss sich wünschte, auf keinen Fall organisieren lassen, egal, was man getan hätte.
    Zum Dritten gibt es noch eine Besonderheit in der italienischen Wirtschaft, die immer noch weit verbreitet ist: Die Rolle des Chefs ist die des Chefs. (Und leider sind auch die weit überwiegende Mehrzahl der Führungspersonen in Unternehmen Männer.)
    Was sich zunächst dumm anhört, bekommt klarere Konturen, wenn man das oben bereits erwähnte Hierarchiedenken mit einbezieht: Wer Chef ist, muss entscheiden und dann auch die Verantwortung für sein Tun übernehmen. Oft sehen sich Mitarbeiter einfach als ausführender Teil des Ganzen und beanspruchen für sich keinen Gestaltungswillen. Das ist sicher auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass Arbeiten für viele Italiener keine Selbstverwirklichung ist, sondern lediglich eine Notwendigkeit, um an Geld zu kommen. Oder nicht die ganze Zeit zu Hause sitzen zu müssen.
    Dass in dieser Diskussion dann doch diskutiert wird, hat keineswegs nur damit zu tun, dass man auf Scheinprobleme ausweichen möchte. Zum einen ist es eine Höflichkeit gegenüber Paul Weiss, sich zu beteiligen, sicher. Zum anderen zeigt es aber auch, dass die Mitarbeiter eben wollen, dass ihre direkten Belange berücksichtigt werden. Höhere Probleme sind eben die Probleme höherer Mitarbeiter.
    Dass diese unterschiedlichen Unternehmenskulturen, die deutsche und die italienische, dennoch miteinander harmonieren können, zeigt die Praxis. Beispielsweise loben die Mitarbeiter des italienischen Sportwagenherstellers die Zusammenarbeit mit ihrem neuen »Besitzer« Audi in höchsten Tönen. Sie hätten deutsche Disziplin, Ordnung und Präzision im Austausch gelernt, gleichzeitig aber hätten sie weiterhin genug Raum, ihre italienische Genialität und Kunstfähigkeit auszuleben. Und passen Sie auf: Selbst wenn Sie den Mitarbeitern hier widersprechen wollten, tun sie es nicht.
    Was können Sie besser machen?
    Arbeiten Sie lieber mit Komplimenten als mit Kritik, versuchen Sie Kritik möglichst positiv zu formulieren, vermeiden Sie persönliche Kritik, so gut es geht, objektivieren Sie, wenn es möglich ist. Wenn Sie Kritik üben müssen, dann am besten indirekt. Anstatt zu sagen: »Sie haben den falschen Wein auf den Tisch gestellt«, sagen Sie lieber »Ich hätte eigentlich lieber einen anderen Wein.« Es kann auch sinnvoll sein, auf die erste Person Plural auszuweichen. Anstatt dass Paul Weiss die Mitarbeiter kritisiert, dass sie zu viele Bestellungen falsch auslieferten, könnte er sagen: »Wir müssen in Zukunft darauf achten, immer die richtigen Bestellungen auszuliefern.«
    Bedenken Sie, dass es in Gruppen noch wichtiger ist, nicht das Gesicht zu verlieren. Bloßgestellt zu werden geht in Italien viel schneller als in Deutschland. Kritik ist hier sehr schwierig, besser besprechen Sie diese Dinge im persönlichen Gespräch. Seien Sie aber auch vorsichtig, wenn Sie andere loben, denn ein Lob verdeutlicht auch sehr schnell einen Standesunterschied.

Wie Paul Weiss sich falsch entschuldigt
    Ochs und Esel in seinem Lauf halten weder scusi noch scusa auf
    Trombetta überlegte kurz, ob er etwas zu Stefano Lo Mele sagen sollte, dann warf er seinen Kopf herum und stolzierte aus dem Raum. Dann ging auch Stefano Lo Mele. Er wollte eine Zigarette rauchen, doch dann kam er auf den Gedanken, dass es besser sei, nach Paul Weiss zu sehen, um mit ihm über die Konferenz zu reden.
    Paul Weiss stand vor der Tür auf dem Hof und atmete die immer noch recht warme Novemberluft in tiefen Zügen ein. Stefano Lo Mele stellte sich wortlos neben ihn und zündete sich eine Zigarette an.
    »Das ist ja immer noch wahnsinnig warm«, sagte Paul Weiss. »Bei uns zu Hause kann man sich jetzt schon langsam auf Schnee einstellen.«
    »Wie geht es
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