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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte
Autoren: Gaetano Cappelli
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ja, Jeff musste gehen. Er hat gesagt, dass du klasse bist: Das sei ein heißer Tipp gewesen. Jetzt heißt es, gründlich nachzudenken … Ja, ich wollte dich noch fragen, was genau du gemeint hast?« Richtig, was hatte ich nur gemeint? Ich bemühte mich gerade, es selbst herauszufinden, als sie plötzlich »Kenneth!« rief.
    Ich sah ihn eleganten Schrittes auf uns zukommen. Er hatte kleine Augen und verzog die Unterlippe zu einer angewiderten Grimasse. Dem Ambiente zum Hohn trug er eine taillierte Jacke mit Wappenknöpfen. Er rauchte eine Zigarette mit langem Mundstück. Das einzige, allerdings auffällige Zugeständnis an den Zeitgeist war ein glitzernder Brillant, der exzentrisch im oberen Rand seines rechten Ohrs steckte. Er nahm Veronicas Umarmung hin wie ein Kardinal die eines einfachen Klosterbruders, doch das Lächeln, das er ihr schenkte, war aufrichtig. Mir gegenüber hielt er sich anfangs sehr zurück. Er war ein echter Snob, einer von jenen, die sich nur zu gewissen Vertraulichkeiten herablassen, wenn man über die nötigen Voraussetzungen verfügt. Was Veronica anbelangte, so war es die Leidenschaft für raja yoga - sie hatten sich in einem buddhistischen Aschram in Soho kennengelernt, - und in meinem Fall war es Cybill, das heißt die Tatsache, dass ich ihr Freund war.
    Als er das hörte, musterte er mich plötzlich interessiert. »Sie ist eine tolle Frau, die Cybill … Ich kann nicht behaupten, dass wir Freunde wären, aber ich habe zufällig ein paarmal mit ihr geplaudert, auch wenn ich …«, fügte er mit der ihm eigenen lispelnden Aussprache hinzu, »… nie verstanden habe, was sie an diesem Rüpel
von Stewart Sheffield findet. Wo ist sie übrigens abgeblieben? Man sieht sie gar nicht mehr.«
    »Das herauszufinden ist genau das, wobei du uns helfen sollst«, säuselte Veronica so einschmeichelnd, wie es ihr nur möglich war. Sie setzte ihn über die Angelegenheit ins Bild und ergänzte dann, ganz erfüllt von meinem Jeff B gegenüber geäußerten Einfall: »Ken, Christus ist für mich wie ein Bruder. Sag ihm doch bitte, wo Whiteagle Spencer ist.«
    Kenneth nahm einen langen, gierigen Zug aus seinem Mundstück. Die Glut der Zigarette leuchtete auf seiner glatt rasierten Wange. Dann gestand er seufzend: »Das kann ich nicht.«
    »Was heißt hier können … Du musst «, drängte sie und war plötzlich wütend - ich hatte sie niemals so außer sich gesehen, obwohl sie sehr oft Grund dazu gehabt hätte.
    »Beruhige dich, Veronica«, sagte er, peinlich berührt von der Aggressivität seiner Freundin. »Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht will. Ich habe gesagt, dass ich nicht kann«, erklärte er mit verzogenem Mund und bürstete nicht vorhandenen Staub vom Ärmel seiner Samtjacke.
    Kenneth war einer der ersten Anhänger von Whiteagle Spencer gewesen und hatte zu jener Zeit schon ein paar Selbstmordversuche hinter sich. »Das zweite Mal mit einem ganzen Röhrchen Revonal … Ihr wisst schon, das Lieblingsbarbiturat von Hendrix. Sieht so aus, als wäre er daran gestorben, und wäre Whiteagle nicht gewesen, hätte ich es bestimmt weiter versucht. Vor ihm habe ich sie alle abgeklappert - Maharishi, Osho, Maharaji, aber die sind nichts gegen ihn. Dieser Mann verfügt über einen solchen Magnetismus … Natürlich nötigt er einem schon ein Leben voller Entbehrungen auf. Disziplin heißt das. Vor allem muss man sich in einer bestimmten Weise kleiden. Schwarzer Samt, auch wenn man seinen Schneider in der Savile Row hat. Von der Ernährung ganz zu schweigen: Nur Müesli. Null Alkohol, höchstens ein bisschen Hasch am Abend, und das auch nur, wenn der Meister selbst anwesend ist. Jeden Morgen um fünf aufstehen. Kein Radio, kein Telefon,
kein Fernsehen und« - er wedelte mit der Hand durch die Luft - »vor allem keine Abende wie diesen hier. Und doch muss ich zugeben, dass ich niemals so glücklich gewesen bin. Er hat so wunderschöne Rituale: den Windschweif, das Erdnest, und erst recht das Regenbogenfeuer … Nachdem man in all diese Farben eingetaucht ist, braucht er einen nur noch zu berühren, und man verspürt einen Stoß, so etwas wie einen Elektroschock ohne Schmerz, und dann sieht man sein ganzes Leben an sich vorbeiziehen, wie es die Psychoanalytiker möchten, nur dass die einen zwingen, jahrelang zu reden, während er nur einen Augenblick braucht, und zack!, schon erlebt man die eigene Vergangenheit noch einmal, aber in der richtigen Version, so, wie man sie hätte leben sollen, und dann leidet man
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