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Fenster zum Zoo

Fenster zum Zoo

Titel: Fenster zum Zoo
Autoren: Carola Clasen
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Tiefengrab stand und ihm einfiel, dass er heute nicht nach dem Marabu gesehen hatte. Er erzählte ihr von der verpatzten Abschiedsfeier im Präsidium, dem neu erworbenen Kochbuch und der fehlenden Gelegenheit, eine neue Jahreskarte kaufen zu können, da sich im Zoo ein Toter befunden hatte.
    Zuhause stellte er fest, dass er keine Küchenwaage besaß und die meisten seiner Vorräte das Mindesthaltbarkeitsdatum lange hinter sich gelassen hatten. Er entdeckte ein Mehlpaket, das noch aus Bettys Zeit stammen musste und hart wie ein Backstein war. Er warf es nicht weg, sondern stellte es oben auf den Küchenschrank, zur Erinnerung.
    Dann machte er sich ein Rührei.

3. Kapitel
    Muschalik kaufte vor dem Frühstück bei Schorsch die Donnerstagsausgabe des Kölner Stadt-Anzeiger.
    »Kaum bist du nicht mehr im Dienst, passiert so etwas«, sagte Schorsch und zeigte vorwurfsvoll auf die erste Seite. »Und dann auch noch im Zoo. Glaubst du auch, dass es ein Unfall war?«
    Muschalik zuckte mit den Schultern.
    »Ich nicht«, sagte Schorsch, kam aus seiner Kneipe heraus, wischte mit einem schmuddeligen Lappen über die Plastikstühle und bückte sich ächzend, um die Abfälle aufzusammeln. »Kann dir ja auch jetzt egal sein.«
    »Theoretisch, ja.« Muschalik war erstaunt, dass der Bärenunfall fast die Hälfte der ersten Seite einnahm. Ein Sommerloch-Thema, dachte er. Auf dem Foto sah der Grizzly plötzlich gefährlich aus und hinterhältig. Nelly Luxem hatte der Kamera den Rücken zugedreht. Kraft und van Dörben berieten sich. Und er selbst stand auch da in seinem karierten Blouson und seiner karierten Schirmmütze, und er fand, er sah nicht aus wie ein pensionierter Kommissar; er machte eine gute Figur.
    Unfall im Bärengehege ? stand unter dem Foto, und Muschalik wunderte sich über das Fragezeichen.
    »Wenn ich meine Kneipe mal abgeben muss, werde ich bestimmt auch jeden Morgen nachsehen kommen, ob hier alles in Ordnung ist.«
    »Ja, ja«, sagte Muschalik in Gedanken, faltete den Kölner Stadt-Anzeiger zusammen und steckte ihn die Tasche seines Blousons.
    Jetzt saß er bei einer Tasse Kaffee und einem Butterbrot in seiner Küche und las. Der Journalist holte weit aus, erinnerte an Unfälle in Zoologischen Gärten weltweit, zeigte verstümmelte Menschen, die gerade noch einmal davongekommen waren. Er warnte vor leichtsinnigen Kletterpartien auf Zoogeländern und Felsen. Mütter sollten ihre Kinder nicht aus den Augen lassen. Aber er schrieb auch, dass Ben Krämer, der tote Fotograf, schon neunundzwanzig Jahre alt, also kein Kind gewesen wäre, und außer einem Talent sicher auch eine große Erfahrung gehabt hätte. Er rollte auch die Krankengeschichte des Grizzly wieder auf und die wundersame Heilung durch die Duisburger Bärenspezialistin Nelly Luxem. Köln ist ihr noch heute dankbar dafür«, schrieb er, »in ihrem Beisein wäre es nie dazu gekommen, darin sind sich alle einig. Alle Kölner stehen hinter ihr und bedauern den Vorfall. Ansonsten wusste er auch nicht mehr, als die Aktuelle Stunde des WDR und die Lokalzeit schon am Abend zuvor berichtet hatten.
    Als es klingelte, schob er das Kochbuch unter den Kölner Stadt-Anzeiger, bevor er öffnete. Es war Kraft – die Zwillinge im Schlepptau –, der ihm mitteilen wollte, dass er den Film, der in der zerstörten Kamera gewesen war, zur Entwicklung gegeben hatte.
    »Es wird sicher nicht viel dabei herauskommen, so wie die Kamera aussah, aber man weiß ja nie. Und den VW haben wir auch gefunden.«
    »Um mir das zu sagen, bist du nicht hier, oder?«, fragte Muschalik.
    »Nun ja«, sagte Kraft.
    Wenn Kraft ›Nun ja‹ sagte, hatte er einen Plan.
    »Ich kann heute bestimmt nicht pünktlich Feierabend machen. Und da du doch jetzt Pensionär bist, dachte ich, ein wenig Abwechslung könnte dir gut tun.«
    »Ich kann bis jetzt nicht klagen. Aber lass die Zwillinge ruhig hier. Ich nehme sie mit in den Zoo.«
    »In den Zoo, in den Zoo«, freuten sich Tim und Tom.
    Kraft atmete erleichtert auf. Die beiden waren offensichtlich in einem anstrengenden Alter. Und auch wenn er nichts auf sie kommen ließ, so kosteten sie ihn doch manchmal den letzten Nerv. Er schien immer dankbar, wenn man ihn für ein paar Stunden entlastete.
    »Ich könnte uns heute Abend Pfannkuchen machen«, schlug Muschalik vor und dachte an Dr. Oetker.
    Die Zwillinge brachen in Jubelschreie aus: »Pfannkuchen, Pfannkuchen!«
    »Du kannst kochen?«, fragte Kraft. »Das ist ja ganz was Neues. Wieso weiß ich nichts
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