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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial
Autoren: Benedict Wells
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hätte Anne-May vielleicht
Mitleid und würde sich mit ihm unterhalten. Zugegeben, die Mitleidstour war
billig, aber who cares, Hauptsache, man kam ins Spiel.
    Francis ging in sein Zimmer, eine kleine Kammer mit
ein paar Postern von Mos Def, Elisha Cuthbert und Eminem. Er warf sich auf die
Matratze und fuhr den Computer hoch. Das Telefon klingelte. Francis ließ es mehrmals
läuten, ohne ranzugehen. Fast alle Anrufe bei ihnen zu Hause verhießen nichts
Gutes. Es hätte die Klinik sein können oder die Schule oder einer von den
Exfreunden seiner Mutter. Früher hatte sie sich immer an reiche Typen gehängt,
ihm von ihnen vorgeschwärmt und von einem besseren Leben geträumt, bis sie
dann doch regelmäßig verlassen worden war. Inzwischen waren ihre Freunde fast
nur noch Loser. Einer, er hieß Derek Blake, war sogar einmal besoffen
hergekommen und hatte ihr etwas antun wollen. Zufällig war Francis auch da
gewesen und hatte seine Mutter beschützen können. Derek Blake war wutentbrannt
auf ihn losgegangen, aber Francis als geübter Ringer hatte ihn schnell auf dem
Boden gehabt, und dann hatte er ihm noch ein paarmal in die Rippen getreten,
ihn am Hemd gepackt und aus dem Trailer geworfen.
    Das Telefon läutete nun schon über eine Minute. Genervt
hob er ab.
    „Hi Frankie, hier ist Nicky.“
    Sein Bruder. Jetzt war er doch froh, dass er
drangegangen war. „Was gibt's?“
    „Die Klinik hat Dad angerufen. Er meint, Mom war wieder
krank.“
    Nicky schniefte ein
bisschen. Francis versuchte ihn durchs Telefon zu trösten. Er hatte nur noch
selten Kontakt zu seinem kleinen Bruder, vor einigen Wochen, an Nickys
dreizehntem Geburtstag, hatten sie sich das letzte Mal gesehen.
    Francis gab seinem Stiefvater Ryan Wilco die Schuld
an allem. Als er drei Jahre alt gewesen war, hatte seine Mutter in einem Cafe
einen jungen Anwalt aus Newark kennengelernt. Bald darauf hatten sie
geheiratet, und schließlich war seine Mutter noch mal schwanger geworden, mit
Nicky. Eine Zeitlang schien alles perfekt zu laufen. Francis' Kindheit war von
Wochenendausflügen geprägt gewesen, von gemeinsamen Abendessen und einem
riesigen Kinderzimmer, in dem er im Stockbett oben schlief und Nicky unten.
Damals hatten sie in Jersey City gelebt. Aber vor viereinhalb Jahren hatten
sich seine Mutter und Ryan scheiden lassen. Es hatte Streit, Unterhaltsklagen
und einen tiefen Bruch gegeben. Nicky war mit seinem Vater nach New York
gezogen, Francis und seine Mutter dagegen in Claymont gelandet. In einer laut
Prospekt „unterschätzten und aufstrebenden Stadt im Herzen New Jerseys“, oder
anders gesagt: am Arsch der Welt. Seine Mutter hatte sich hier etwas „Neues“
aufbauen wollen. „Wir zwei schaffen das“, hatte sie immer gesagt. Ein halbes
Jahr später war sie zum ersten Mal in der Klinik gelandet.
    „Dad meint, du kannst zu uns kommen, wenn du willst“,
sagte Nicky.
    Francis steckte sich eine Zigarette an und nahm
einen tiefen Zug. Dann schüttelte er den Kopf. Zwar vermisste er Ryan und hätte
insgeheim nichts lieber getan, als bei ihm zu wohnen. Aber das konnte er
unmöglich tun. Jahrelang war Ryan wie ein Vater für ihn gewesen, doch nach der
Scheidung hatte er sich einfach von ihm abgewandt.
    „Schon okay. Ich bleib hier.“
    „Schade. Wir hätten Basketball spielen können. Ich
kann jetzt den Korbleger. Letzte Woche habe ich Jamie besiegt. Zehn zu drei.“
Vor Aufregung redete Nicky zu schnell.
    „Jamie Roscoe von nebenan? Aber der hat dich doch immer
abgezogen.“
    „Ja, früher!“
    Bei der Vorstellung, wie sein Bruder jetzt den Hörer
in der Hand hielt und strahlte, musste Francis lächeln. Schließlich war Nicky
so klein, dass sich langsam alle Sorgen machten. Sein Bruder tat zwar so, als
sei es ihm egal, aber Francis wusste, dass es ihn störte. „Hey, also
abgemacht“, sagte er. „Ich schau bald mal wieder bei euch vorbei, dann spielen
wir eine Runde. Mich machst du bestimmt auch fertig. Du wirst langsam echt zu
gut.“
    Nicky gluckste am
Telefon.
    Nachdem Francis aufgelegt hatte, räumte er auf. Die
Sachen, die seine Mutter nach ihm geworfen hatte, die schmale Küche, die
verdreckte Toilette. Anschließend reparierte er noch den Wasserhahn. Es war
ein gutes Gefühl, etwas, was kaputtgegangen war, wieder hinzukriegen. Er sah zu
seiner Katze, die in die Küche gelaufen kam und ihm schnurrend um die Beine
strich. Sie miaute, Francis antwortete ihr miauend. Eine Weile redeten sie auf
diese Weise miteinander, er hätte gern gewusst,
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