Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial
Autoren: Benedict Wells
Vom Netzwerk:
weißen Shirt, kam ins Zimmer. Er fasste Mrs. Dean bei den
Schultern und führte sie hinaus. Francis stand ebenfalls auf und gab Dr.
Sheffer die Hand. Der sah zu ihm hoch und drückte besonders fest zu, wie die
meisten Männer, die nicht groß waren. Francis schnappte sich den Koffer mit den
Sachen seiner Mutter und folgte ihr.
     
    Als sie den Flur entlanggingen, fürchtete er sich
schon vor den schlechten Witzen, die Steve immer erzählte. Sie betraten Zimmer
039. Während seine Mutter ihre Sachen auspackte, überraschend ruhig und
gewissenhaft, setzte Francis sich auf das Bett und schloss die Augen. Die
letzten Tage hatte er kaum geschlafen. Er stellte sich vor, wie seine Mitschüler
gerade mit ihren Familien zu Mittag aßen oder in der Mall rumhingen.
    Steve versuchte ihn aufzumuntern. „Hey“, fragte er
grinsend. „Wie viele Blondinen braucht man, um eine Glühbirne einzuschrauben?“
    Francis öffnete die Augen und sah den Pfleger
stirnrunzelnd an. Als das nicht reichte, zuckte er auch noch mit den
Schultern.
    „Fünf!“, sagte Steve daraufhin. „Eine hält die Glühbirne,
und vier drehen die Leiter!“
    Um ihn nicht völlig zu blamieren, deutete Francis
ein Lächeln an. Dann bekam er mit, wie seine Mutter ein gerahmtes Foto aus der
Tasche zog, auf dem ein großer, breitschultriger Junge mit schwarzen Haaren zu
sehen war. Er trug eine Sportjacke und sah erschöpft, aber zufrieden aus.
Francis erinnerte sich gut an diesen Tag, damals hatte er einen wichtigen
Ringkampf gewonnen. War jedoch ziemlich lange her, wie die meisten Bilder, auf
denen er zufrieden aussah.
    Während seine Mom und der Pfleger auspackten,
schaute er sich auf der Station um. Die Böden waren mit dunkelgrünem Linoleum
ausgelegt, seine Schuhe erzeugten beim Gehen ein knarzendes Geräusch. Die Wände
waren weiß gestrichen, trotzdem wirkte die Klinik düster, wie hinter einem
Grauschleier. Die Schwestern kannten ihn, sie warfen ihm mitleidige Blicke zu,
und manchmal hatte Francis das Gefühl, sie taten es nicht, weil er diese Sache
mit seiner Mutter hatte, sondern weil er auch noch diese Sache mit seiner Mutter hatte. Er wusste, dass
ihn die meisten Leute für einen perspektivlosen Versager oder einen dummen
Riesen hielten, und es war ein bisschen bitter, dass er ihnen nicht das
Gegenteil beweisen konnte. Dabei war er früher einer der besten Schüler seiner
Klasse gewesen. Im Unterricht war ihm immer mal wieder ein Satz
herausgerutscht, den die Lehrer für bemerkenswert hielten. Das und die Tatsache,
dass er als Kind bei einem Schuleignungstest einer der Besten gewesen war,
hatte die Leute sogar glauben lassen, er sei vielleicht hochbegabt. Seine
Mutter hatte früher jedenfalls immer zu ihm gesagt: „Frankie, mein kleines Genie!“
Doch in den letzten Jahren war vieles anders geworden, und inzwischen konnte
er froh sein, wenn die Schule sein geringstes Problem war.
    Die Stimmung auf der Station war trostlos. In einem
Zimmer saßen Pfleger und schwatzten, im Fernsehraum lief eine Doku auf pbs . Ab und zu schlichen ein paar Patienten wie Zombies über
den Flur, sie hatten ungewaschene Haare und trugen Jogginghosen oder Shorts.
Einige brabbelten vor sich hin, andere schauten nur traurig oder finster drein.
Aus einem der hinteren Zimmer drang Gebrüll. Francis hatte das Gefühl, dass
man auf dieser Station auch gut einen Horrorfilm hätte drehen können. Die meisten
Leute hier schienen etwas älter zu sein, mehr Frauen als Männer. Was alle
einte, war die Langsamkeit. Sie gingen langsam, sie redeten langsam, und wenn
sie aus dem Fenster sahen, dann unendlich lange.
    Die Patientenzimmer waren geschlossen, nur bei einem
war die Tür halb geöffnet. Durch den Spalt entdeckte Francis ein Mädchen, das
nichts als eine schwarze Jeans und einen bh trug und sich gerade ein T-Shirt anzog. Ihr Kopf war unter
dem Shirt verschwunden, und so betrachtete er ihre Brüste. Kurz darauf konnte
er ihr Gesicht sehen; weiße Haut, schulterlange schwarze Haare, ein
feingeschwungener Mund. Dazu große, dunkle Augen, die nun in Richtung Tür
blickten.
    In diesem Moment gab es einen gewaltigen Ruck. Francis
erschrak, er wusste nicht, was geschehen war. Jemand hatte seinen Kopf gepackt
und mehrmals in klares Wasser getaucht. Jemand hatte ihn auf ein Katapult
gelegt und tausend Meter in die Höhe geschossen. Jemand hatte ihm mit voller
Wucht gegen die Brust geschlagen, doch seltsamerweise tat es nicht weh. Alles
geschah auf einmal. Es war 14:32, als sich für Francis
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher