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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie
Autoren: Thomas Weiss
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verschiedenen innerseelischen und familiären Aspekten gibt es bei diesem Problem stets auch eine körperliche Seite. Durch das häufige Essen und Erbrechen stellen sich körperliche Beschwerden ein. Meist bestehen diese aus einer Reizung des oberen Verdauungstraktes und des Rachens. Ursächlich ist neben dem Essen/Erbrechen auch die Art der konsumierten Nahrung: meist Hochkalorisches, Süßes, »Junkfood«. Die ungesunde Nahrung vermehrt das Bedürfnis zu erbrechen, da sie gleichzeitig Übelkeit und schlechtes Gewissen erzeugt.
    Dieser Teilaspekt der Bulimie kann therapeutisch genützt werden: Ich empfehle den Betroffenen daher, in einem Teil der Intervention den Magen-Darm-Trakt zu schonen. Dazu gebe ich ihnen einen ausgearbeiteten Plan zur Nahrungsumstellung mit, der sowohl zur Abheilung des gereizten Verdauungskanals führt als auch frei von Süßem und Hochkalorischem ist. Wenn Patienten dem Plan folgen, fühlen sie sich nach kurzer Zeit körperlich wohler und – was noch wichtiger ist – haben nach dem Essen kein schlechtes Gewissen mehr. Eine Patientin bemerkte dazu: »Also früher habe ich das süße Zeug einfach herausbrechen müssen. Aber jetzt, mit den Gemüsen und Salaten, das tut mir viel zu leid um die gesunden Sachen.«
    Schlechtes Gewissen ist ein wesentlicher Teil des bulimischen Verhaltensmusters. Ohne Schuldgefühle gibt es meist kein Erbrechen und damit keine weiteren Skrupel – die Dynamik ist damit unterbrochen.

THERAPIEPROTOKOLLE
    Paartherapie mit einem Partner 1
    Die 35 Jahre alte Mary kommt nach Voranmeldung. Sie wirkt sehr zurückhaltend, ist konservativ mit einem grauen Kostüm bekleidet, die Haare sind kurz, die Beine im Gespräch korrekt übereinandergeschlagen. Erst nach einer Weile ändert sie die Sitzposition und löst sich etwas. Sie ist seit zwölf Jahren verheiratet, hat einen achtjährigen Sohn und eine zehnjährige Tochter. Nach der Schule gehen die Kinder zu einem Babysitter, da beide Eltern arbeiten. Sie selbst arbeitet in einem medizinischen Assistenzberuf, ihr Mann ist Arbeiter. Obwohl schlechter ausgebildet als sie, verdient er deutlich mehr. (Diese
Daten werden in einer ersten, etwa drei Minuten langen Phase erhoben.)
     
    Therapeut: »Was führt Sie hierher?«
    Mary: »Oje, das ist so eine Sache. Die Angelegenheit ist nie ganz abgeschlossen worden. Ungefähr vor einem Jahr ist mein Mann durch eine Alkoholentziehungsbehandlung gegangen. Es war eine Gerichtsauflage...
    Es war nicht ganz so schlimm mit dem Trinken, aber er hat die Kinder abends nicht vom Babysitter abgeholt, sagte mir nicht Bescheid, wo er war und so. Er hat mich nie geschlagen, ging mir nur furchtbar auf die Nerven. Er hat überhaupt keine Verantwortung übernommen, ich musste alles allein machen.
    Als er nun zur Therapie überwiesen wurde, war der Anlass gewesen, dass er wegen ungebührlichen Verhaltens mitten in der Nacht verhaftet worden war. Ich dachte lange, er hätte einen Streit gehabt und wäre deswegen über Nacht festgenommen worden.«
    Mary beschreibt dann die intensive Alkoholentzugsbehandlung, die ihr Mann absolviert hat.
    Mary: »Es ging ziemlich gut, die Wandlung war erstaunlich. Seit dieser Zeit trinkt er überhaupt nicht mehr.«
    Therapeut: »Was glauben Sie, hat diesen Wandel ermöglicht?«
    (Damit wird auf die positiven Ansätze gezielt.)
    Mary: »Teilweise, weil er gezwungen wurde. Und weil er sonst mehr Schwierigkeiten bekommen hätte.
    Er hat dabei eingesehen, dass er einfach nicht aufhören konnte, wenn er einmal angefangen hatte...
    Eines Abends, als die Kinder zu Bett gegangen waren, habe ich ihn nochmals gefragt, was eigentlich vorgefallen war, damals, als er verhaftet worden war. Da brach es aus ihm heraus: Er sei nicht wegen ›ungebührlichen Verhaltens‹ verhaftet worden, sondern weil er eine Nutte aufgabeln wollte. Unnötig zu sagen, dass ich an dem Abend einen Schock hatte, ich weiß
überhaupt nicht mehr, was ich alles gesagt habe, da ich so durcheinander war...
    Er meinte dann, wir müssten durch einige Beratungsgespräche gehen, durch Familientherapie. Wir hatten nie eine spritzige Ehe, aber da war nie etwas falsch dran. Dann kam das raus, und ich war völlig fertig.«
    Therapeut: »Wann war das?«
    Mary: »Das war März letzten Jahres. Wir haben dann die Paartherapie gemacht. Ich war immer noch sehr unglücklich mit dem, was er gemacht hat. Meine Moral akzeptiert das einfach nicht. Aber ich habe wirklich versucht... den Kindern zuliebe, wissen Sie.
    Nach drei, vier
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