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Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)

Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jan Beinßen
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und Keller erklärte: »Wir zeichnen das Gespräch auf. Aber es hat keine Relevanz für einen späteren Prozess. Betrachten Sie es als ein Sondierungsgespräch.«
    Wollschläger sah ihn aus traurigen, rot unterlaufenen Augen an. Unter Mühen formulierte er seine Antwort: »Machen Sie, was Sie wollen. Mir ist es egal. Stellen Sie Ihre Fragen. Ich weiß nicht, ob ich auf alles eine Antwort weiß.«
    Keller räusperte sich. »Also, gut: Schildern Sie mir bitte die genaueren Umstände, wie es zur Operation an Ihrer Tochter Isabelle gekommen ist.«
    Wollschläger schnaufte und klang gequält, als er antwortete. »Wie es dazu gekommen ist? Das habe ich Ihnen doch bereits erzählt: Sie war krank. Das arme Mädchen hat gelitten. Sie hatte Schmerzen.«
    »Schildern Sie bitte von Anfang an: Waren Sie zuerst beim Hausarzt mit ihr?«
    »Ja, ja. Natürlich, der ganz normale Weg. Aber der Hausarzt hat uns sofort ins Krankenhaus eingewiesen. Wir haben überlegt, ob wir Isabelle in die Cnopfsche Kinderklinik bringen sollten, aber vom Südklinikum hatten wir ja auch nur Gutes gehört. Und es liegt näher an unserem Zuhause, wir hätten sie also schneller und leichter besuchen können.«
    »Wie ging es weiter?«
    »Ich weiß nicht genau. Es ging alles sehr schnell. Wir führten ein Gespräch mit dem Chirurgen, Dr. Bartels. Er war sehr nett, hat uns alles genau erklärt, jeden einzelnen Schritt. Isabelle durfte mithören und hat schnell Vertrauen zu ihm gefasst. Wir mussten einen Haufen Papiere unterzeichnen. Es hieß, alles sei ganz harmlos, reine Routine. Der Papierkram müsste nur für den unwahrscheinlichen Fall ausgefüllt werden, dass sich Probleme einstellten.«
    »Zu denen es dann ja prompt kam.«
    Wollschläger seufzte. »Ja. Die Operation verlief alles andere als planmäßig. Es kam zu schwerwiegenden Komplikationen. Man entschied sich dazu, unser Mädchen nicht aus der Narkose aufzuwecken. Sie blieb ohne Bewusstsein. Die Ärzte nannten es Sedierung, eine Art künstliches Koma.«
    »Berichten Sie weiter, bitte.«
    »Als Eltern wurden wir vertröstet und hingehalten. Man versuchte uns die Probleme als harmlose Verzögerungen darzustellen. An konkrete Informationen kamen wir kaum.«
    »Wann genau haben Sie vom Tod Ihrer Tochter erfahren?«
    »Isabelle ist um 0 Uhr und 39 Minuten aus dem Leben geschieden. So steht es in ihrem Totenschein. Angerufen wurden wir erst am nächsten Morgen um acht.«
    »Sie konnten also nicht dabei sein, als Ihr Kind starb?«
    Tränen sammelten sich in den Augen des blassen Mannes. »Nein. Man hat uns der Möglichkeit beraubt, von ihr Abschied zu nehmen.«
    »Herr Wollschläger, mir fällt auf, dass Sie bei Ihren Schilderungen meistens ein unbestimmtes Personalpronomen verwenden: Statt Ärzte beim Namen zu benennen, verwenden Sie die Umschreibung ›man‹. Kann ich daraus schließen, dass Sie niemandem Bestimmtes Vorwürfe machen, sondern eine Kollektivschuld bei allen Beteiligten sehen?«
    Wollschläger sah Keller ebenso verdutzt wie verstört an. »Es ist mir nicht aufgefallen, dass ich so rede. Das tue ich nicht bewusst.«
    »Mag sein, aber die Frage ist: Liege ich mit meiner Vermutung richtig? Sehen Sie die Schuld beim gesamten Ärzteteam? Die Krankenschwester allein war ja wohl kaum die Verantwortliche für das Schicksal Ihrer Tochter.«
    Wollschläger schwieg nahezu eine Minute lang. Dann versuchte er sich an einer Erklärung: »Sie haben recht, in gewisser Weise. Ich habe viele starke Rachegedanken gehabt in den letzten Monaten. Aber sie richteten sich nicht gegen eine einzelne Person. Mir ging es ums Ganze.« Wieder schwieg er. Dann holte er tief Luft. Stoßartig, lauter, beinahe aggressiv sagte er: »Alle tragen eine Mitschuld! Am liebsten hätte ich das ganze verdammte Krankenhaus in die Luft gesprengt!«
    Keller, überrascht von der heftigen Reaktion des so schüchtern und zurückhaltend wirkenden Mannes, ging auf Abstand, indem er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. Offenbar hatte er einen wunden Punkt getroffen. Einen Fehler im System, denn Rache war ein aussichtsloses Unterfangen, wenn es niemanden Konkretes gab, gegen den sich die aufgestauten Hassgefühle richten ließen. Es sei denn, Wollschläger wollte seine Rache tatsächlich und ganz bewusst nicht gegen ein Individuum, sondern das gesamte System ausüben. In diesem Fall mutete seine Messerattacke allerdings halbherzig und unausgegoren an.
    Keller musste mehr erfahren über Wollschlägers Racheplan, wenn es denn einen solchen
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