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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis
Autoren: Thomas Gordon
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… Man liest das Buch zu Ende, und es ist sehr vernünftig, doch wie soll man anfangen? Wie soll man es benutzen?«

    Ich glaube, diese Eltern hatten das Wesentliche verstanden. Sie vermissten ein Modell, mit dessen Hilfe sie das Prinzip verstehen konnten, von dem die besondere Kommunikationstechnik abgeleitet worden war. Deshalb konnten sie die Technik auch nicht in den neuen, häufig wechselnden Situationen anwenden, die sich in der eigenen Familie ergaben. Die Situationen waren eben niemals mit denen identisch, die der Autor in seinem Buch anführte. Sie konnten nicht von der besonderen Situation im Buch auf ähnliche (aber verschiedene) Situationen in ihrer Familie verallgemeinern. Wenn ich den Terminus »Modell« oder »Theorie« benutze, beziehe ich mich damit nicht auf irgendeine mehr oder minder unbegründete Vorstellung. In der Wissenschaft versteht man unter einem theoretischen Modell einen Plan oder ein Bündel von Richtlinien, anhand derer sich viele verschiedene Ereignisse oder Geschehnisse verstehen und erklären lassen. Die ›Familienkonferenz‹ beruht auf einem solchen Plan – einer Theorie der zwischenmenschlichen Beziehungen, die vieles (wenn natürlich auch nicht alles) erklärt, was sich in einer Beziehung zwischen zwei Menschen ereignet. Wir wissen jetzt besser, welche Elemente dieses Modells für Eltern besonders schwer zu verstehen sind. Darüber hinaus haben wir bessere Verfahren entwickelt, Eltern diese grundlegende Theorie zu vermitteln. Solange sie diese Grundlagen nicht begriffen haben, werden sie kaum in der Lage sein zu entscheiden, welche Technik in welcher Situation angebracht ist.
    Die Theorie der ›Familienkonferenz‹ ist nicht nur ein Plan für effektive Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, sondern eine viel allgemeinere Theorie, die auf alle zwischenmenschlichen Beziehungen anzuwenden ist – auf die zwischen Mann und Frau, Vorgesetztem und Untergebenem, Lehrer und Schüler, zwischen Rechtsanwalt und Klient oder Freund und Freund. Anfangs sind Eltern von dieser Tatsache
stets überrascht. Aus Gründen, die mir nicht ganz einleuchten, gehen nämlich die meisten Eltern davon aus, dass sich die Eltern-Kind-Beziehung grundlegend von anderen Beziehungstypen unterscheidet. Nach der Auffassung von Eltern sind Kinder keine vollwertigen Menschen.
    Die meisten Eltern sind der Überzeugung, dass man Erwachsenen gegenüber keine kritischen Bemerkungen machen sollte, durch die man sie in ihrem Stolz treffen könnte. Sie wären dann verletzt, und die Beziehung zu ihnen würde darunter leiden. Dieselben Eltern meinen, dass es sich mit Kindern ganz anders verhalte. Sie sind der Überzeugung, das Kind wäre in einem solchen Fall nicht verletzt und die Tatsache, dass man es herabgesetzt habe, würde der Beziehung keinen Abbruch tun. Die meisten Eltern behaupten sogar, dass Kinder Kritik brauchten und dass es ihnen nicht schade, wenn ihr Selbstbewusstsein von Zeit zu Zeit einen Dämpfer erhalte. Deshalb sei es die Pflicht guter Eltern, ihren Kindern solche Botschaften in reichlichem Maße zukommen zu lassen – »zu ihrem eigenen Besten«.
    Eltern, die nachdrücklich die Auffassung vertreten, dass die Gewalt aus zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbannen sei, lassen sich dadurch nicht daran hindern, ihre Kinder körperlich zu strafen, ja, sie vertreten sogar die Auffassung, dass es diesen nütze! Ferner sind Eltern im Allgemeinen zweisprachig – eine Sprache benutzen sie mit Menschen und eine andere mit Kindern. Wenn ein Freund eine Schüssel fallen lässt und sie dabei zerbricht, würden die meisten Eltern bestrebt sein, ihrem Freund das Gefühl der Verlegenheit oder der Schuld zu ersparen. Ihre Botschaft würde in etwa lauten: »Oh, mach dir keine Gedanken wegen der Schüssel – das kann jedem passieren!« Wehe aber, wenn der achtjährige Sohn die Schüssel fallen lässt. Dann hören wir eine andere Sprache – zum Beispiel: »Mein Gott nochmal, die schöne Schüssel – warum bist du auch so ungeschickt? Kannst du denn nicht aufpassen?«
    Es fällt Eltern schwer, einzusehen, dass auch Kinder Menschen sind und dass die Ereignisse in der Eltern-Kind-Beziehung sich deshalb anhand derselben Grundsätze erklären lassen, die für alle zwischenmenschlichen Beziehungen gelten. Die Eltern, mit denen wir zusammengearbeitet haben, mussten einige sehr drastische Änderungen an ihren
eigenen Theorien über Eltern und über Kinder vornehmen, bevor sie ihr Verhalten als Vater oder Mutter
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