Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis
Autoren: Thomas Gordon
Vom Netzwerk:
verändern konnten:
Sie mussten damit Schluss machen, ihre Kinder als eine besondere Spezies zu betrachten, und damit beginnen, sie als Personen wahrzunehmen.
Sie mussten sich zu der Einsicht bequemen, dass die Verhaltensweise ihrer Kinder im Wesentlichen durch das bestimmt wird, was in der Eltern-Kind-Beziehung passiert.
Sie mussten anfangen, einige der generellen Prinzipien (Grundlagen) zwischenmenschlicher Beziehungen zu verstehen.
    Daher halte ich es für notwendig, in diesem ersten Kapitel die Grundprinzipien der Theorie zwischenmenschlicher Beziehungen zusammenzufassen, auf die sich die ›Familienkonferenz‹ gründet. Eltern, die dieses Buch gelesen oder an einem unserer Kurse teilgenommen haben, werden vielleicht versucht sein, das Kapitel zu überschlagen. Ich glaube jedoch, dass auch sie es mit Nutzen lesen werden. Nicht nur, weil wir die Theorie ergänzen und verfeinern, sondern auch, weil sie prüfen können, ob sie die Theorie wirklich verstanden haben. Eltern, die noch überhaupt keine Bekanntschaft mit dem Modell der ›Familienkonferenz‹ gemacht haben, sollten das erste Buch lesen. Nur so können sie sich einen vollständigen Überblick der grundlegenden Theorie verschaffen. Denn wenn sie die Theorie nicht verstanden haben, werden sie nicht beurteilen können, wann die Techniken zu verwenden sind, die in den folgenden Kapiteln beschrieben und an Beispielen demonstriert werden.
    Das Prinzip der Inkonsequenz
    Eine der Überzeugungen, denen man am häufigsten begegnet, ist die, dass Eltern konsequent sein müssten. Wenn man heute eine bestimmte Verhaltensweise seines Kindes nicht akzeptiert, darf man sie auch
morgen nicht akzeptieren, oder man ist inkonsequent. Und dies sei falsch, haben die Eltern gelernt. Das Gleiche gilt für den umgekehrten Fall: Wenn man irgendeine Verhaltensweise am Montag »erlaubt«, verhält man sich seinem Kind gegenüber nicht richtig, wenn man sich von demselben Verhalten am Freitag auf die Palme bringen lässt oder es für unerträglich hält.
    Dieser Mythos wurde in unseren Kursen bald zerstört. Sehr zur Erleichterung der Eltern, die sich bislang verzweifelt bemüht hatten, ihm gerecht zu werden, und als Lohn für ihre Mühe nur Schuldgefühle und Selbstvorwürfe geerntet hatten. Denn das Ziel war einfach zu hoch gesteckt. Es wurde gezeigt, dass an manchen Tagen bestimmte Verhaltensweisen akzeptabel sind, weil die Eltern in einer entsprechenden Verfassung sind. Zu anderen Zeiten können sie die gleichen Geschehnisse nicht akzeptieren, weil sie anders aufgelegt sind. Eine Mutter zweier aggressiver Kinder berichtet, dass sie auf den häufigen Streit ihrer Kinder unterschiedlich reagiert:

    »Es hängt von meiner Stimmung ab, ob ich ihnen erlaube, ihre Streitereien in meiner Nähe auszutragen. Ich meine damit, dass es mich manchmal, wenn ich z. B. die Zeitung lese oder ähnlichen Beschäftigungen nachgehe, nicht berührt, wenn sie sich in meiner Nähe streiten oder sonst etwas anstellen. Es gibt aber Augenblicke, wo ich es nicht ausstehen kann, wenn sie in meiner Nähe spielen. Das merken sie, als läge Gedankenübertragung vor. Denn gehen sie woandershin.«

    Ein Vater, ein Arzt, erzählte von der Inkonsequenz in seinem Verhalten gegenüber den Patienten in der Sprechstunde:

    »Es gibt Tage, an denen mein Toleranzniveau ausgezeichnet ist. Dann sitze ich und höre zu. Das kann eine ganze Stunde lang dauern. Auch ein überfülltes Wartezimmer kann mich dann nicht stören … Es gibt aber Zeiten, da fehlt mir die Bereitschaft … Dann sage ich unter Umständen zu einem Patienten: ›Ich begreife gut, dass Sie das Bedürfnis haben, sich
auszusprechen, aber ich kann Ihnen heute nicht zuhören.‹ Und ich nenne ihm den Grund dafür. Ich füge hinzu: ›Herzlich gern zu einem anderen Zeitpunkt‹, oder ›Lassen Sie sich einen neuen Termin geben‹. Kein Patient hat sich bisher darüber aufgeregt. Für mich war es eine Offenbarung! Bevor ich an der Familienkonferenz teilgenommen hatte, war es ganz anders. Wenn ich damals etwas zu tun hatte, regte es mich auf, wenn ein Patient vor mir saß und mir sein Herz ausschütten wollte. Ich sah dann zur Uhr oder ließ ihn auf andere Weise merken, dass ich kein Interesse an dem hatte, was er mir mitteilen wollte. Dann war er böse. Ich war nicht ehrlich zu ihm gewesen.«
    Abbildung 1
    Abbildung 2
    Der Begriff des »Toleranzniveaus«, den der Arzt verwendet, stammt aus dem Modell der Familienkonferenz. Er öffnet den Eltern die Augen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher