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Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)

Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)

Titel: Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Autoren: Joachim Rangnick
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erinnern. Erst als ich wieder aufgewacht bin … Das war furchtbar … Ich habe geglaubt, ich bin verrückt geworden oder so, aber es war alles Wirklichkeit. Gefesselt auf einem Bett und nackt … Ich habe mich so geschämt … Sie haben mich berührt … Immer wieder … ›Turnstunde‹ haben sie es genannt und dabei laute Musik gespielt und gesoffen … Zu dritt waren sie.«
    Die Dolmetscherin war bleich geworden und mit einem geflüsterten: »Entschuldigung« aus dem Zimmer gehetzt.
    Jeswita lächelte Walcher an, es war ein seltsames Lächeln. Mit einem harten, holprigen Akzent sagte sie auf Deutsch: »Ist schwer sich vorstellen, auch schwer erinnern.«
    Walcher nickte nur. Vielleicht hätte er etwas sagen sollen oder fragen, aber ihm fiel nichts ein, und so lauschten beide dem leisen Singen der Teekanne, in dem Zimmer, das nun noch trauriger wirkte.
    Die Dolmetscherin kam zurück und entschuldigte sich nochmals. »Mein Magen, ich höre so etwas ja nicht zum ersten Mal, aber jedes Mal aufs Neue wird mir davon elend«, erklärte sie. »Wir können weitermachen.«
    Jeswita erzählte, wie sie nach Minsk in die Domskaja 122 und dann nach Berlin, Schleizer Straße 7a in Hohenschönhausen, nach Hamburg-Fuhlsbüttel in den Deichweg 12 und von dort weiter nach Frankfurt in die Heinrich-Steiger-Straße 16, draußen in Niederrad, ganz in der Nähe des Golfplatzes, verschleppt worden war, weitergereicht von einem Händlerring an den nächsten.
    »Nein, nicht Puff«, fügte sie zwischendurch wieder auf Deutsch ein, bevor sie auf Russisch fortfuhr. »Alles immer privat. Solange man gut aussieht und frisch ist, wird man zu Herren aus besseren Kreisen gebracht. Die zahlen gut. Aber von dem Geld bekommst du keinen Cent. Nach einem halben Jahr siehst du aus wie ein Stück Scheiße, und dann erst geben sie dich in einen Puff, aber der ist ebenfalls privat. Dazwischen nehmen sie dich selbst, wie es ihnen gerade in den Sinn kommt. Manche prügeln nur, die wollen nichts sonst von dir. Dann jagen sie dich in Wohnheime von Asylanten, da bist du dann noch einmal eine Stufe tiefer gelandet.
    Vor zwei Tagen sollte ich mit einem Transport in die Türkei gebracht werden, aber an der Grenze ging was schief. Der Fahrer hat sich verfahren und war plötzlich in der Schweiz, weil er nicht kontrolliert wurde. Dann hat er es aber gemerkt, und sie haben sich nicht mehr getraut, nach Österreich zurückzufahren.
    Wir waren vier Frauen. Da haben sie dann telefoniert, und viele Stunden später kamen Kerle mit Autos, und jeder nahm sich eine Frau und fuhr davon. Meiner war ein Albaner, er brachte mich hierher und drohte mir, dass er mich aufschlitzen würde, wenn ich auch nur eine falsche Bewegung mache. Ich hatte mir aber vorgenommen, jetzt oder nie. In der Türkei hast du überhaupt keine Chance mehr, dachte ich mir. Als er mich aus dem Auto zerrte, folgte ich noch, tat dann aber so, als würde ich ohnmächtig werden. Da kamen gleich viele Menschen, um zu helfen. Er bekam es wohl mit der Angst zu tun und verschwand. Sein Auto hat das deutsche Kennzeichen F - PK 2004. Am Telefon hat er sich mit Rodusch gemeldet, er wollte sich mit einem aus Zürich in der Schöntal-Straße treffen.«
    Jeswita sprang auf, fischte aus ihrer Jackentasche eine einzelne Zigarette und zündete sie an. Tief inhalierte sie den Rauch und stieß ihn aus, während sie weitersprach.
    »Ich habe es so satt, wie ein Tier behandelt zu werden, das man einsperren darf und zwingt, in eine Zimmerecke zu machen. Einen Tag lang habe ich es mir verkniffen, dann konnte ich nicht länger einhalten und habe dabei geweint vor Wut und Hass auf diese Schweine, die einen quälen und dann auch noch demütigen. Vier Mädchen waren wir, ganze drei Tage in einem Zimmer eingesperrt ohne Toilette, ohne Essen und Trinken. Eine Bestrafung wäre es, sagten sie. Bestraft dafür, weil sich eine von uns aus dem Fenster gestürzt hatte. Das war in Hamburg.«
    Jeswita Drugajew verfügte über ein außerordentliches Erinnerungsvermögen. Sie erinnerte sich präzise an alles, was um sie herum geschehen war, nannte die Namen der Männer und Frauen, mit denen sie in den vergangenen zwei Jahren Kontakt gehabt hatte, die Orts-und Straßennamen, wo sie gewohnt hatte.
    »Wohnen«, dachte Walcher und spürte, wie der Stein in seinem Magen immer größer wurde.
    Drei Stunden lang erzählte Jeswita Drugajew, dann war sie mit ihren Kräften am Ende. Sie verstummte, ihr Blick schweifte in die Ferne, und sie begann leise zu
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