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Falkengrund Nr. 29

Falkengrund Nr. 29

Titel: Falkengrund Nr. 29
Autoren: Martin Clauß
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Mann gedeckt werden. Fachinger dachte angestrengt nach, ob er vielleicht Denzel auch aus der Szene kannte. Aber das war nicht der Fall, und irgendwie konnte er sich auch nicht vorstellen, dass ausgerechnet der Hauptkommissar etwas mit Schranz hatte.
    Er erhob sich, klopfte auf den Tisch, anstatt Denzel die Hand zu reichen. Dann wandte er sich um. Ehe er zur Tür ging, streifte sein Blick ein Foto, das in einem schlichten Rahmen an der Wand hing.
    Er zuckte so sehr zusammen, dass es dem anderen auffallen musste.
    Das Foto zeigte einen älteren Mann mit einem quadratischen, ausdrucksstarken Gesicht, eine Porträtaufnahme. Er blickte in die Kamera wie ein Feldherr auf dem Weg in die Schlacht – stolz, entschlossen, siegessicher.
    Es war der Mann aus seinen Träumen.
    Nur der Gesichtsausdruck war ein vollkommen anderer.
    „Wer ist dieser Mann?“, fragte Fachinger.
    Denzel stockte, schien zu überlegen, was er tun konnte, um ihm den Namen vorzuenthalten. Offenbar fiel ihm nichts ein, denn nach einer Weile meinte er mit einem beinahe niedergeschlagenen Unterton in der Stimme: „Das ist Hauptkommissar Kreisler.“
    Fachinger nahm das Foto fasziniert von der Wand. Dieser Mann – was wollte er von ihm? War er es, der ihm die Träume schickte?
    „Ist er tot?“, erkundigte er sich. Falls es stimmte, dass ein Geist auf sich aufmerksam machen wollte, dann war es vielleicht der Geist von diesem Kreisler. Die Zahnräder in seinem Gehirn begannen ineinanderzugreifen, Theorien formten sich. Eine davon lautete: Schranz und Kreisler hatten ein Verhältnis miteinander gehabt. Schranz tötete Kreisler, und um das Andenken des Kommissars nicht mit anrüchiger Männerliebe zu beflecken, vertuschte man den Fall und ließ Schranz lieber ungeschoren davon kommen, als dass heikle Fakten an die Öffentlichkeit kamen. Vielleicht nahm man Rücksicht auf die Familie des Ermordeten, vielleicht tat man es auch, um die Polizei nicht auf diese unangenehme Weise ins Gespräch zu bringen.
    Eine schöne Geschichte. Wie aus einem Roman. Und beinahe hätte sie Fachinger selbst passieren können. Die Voraussetzungen waren gegeben.
    Aber war sie wahr?
    „Kreisler ist nicht tot“, erwiderte Denzel und brachte damit das Kartenhaus zum Einstürzen. Also doch keine Affäre zwischen dem Kripomann und dem tätowierten Muskelboy.
    „Arbeitet Kreisler noch hier?“
    „Nein.“
    „Wurde er versetzt?“
    „Nein.“
    Fachinger knallte das Foto auf den Tisch, dass der Holzrahmen einen Sprung bekam. „Herrgott, wie lange wollen Sie sich noch jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen lassen? Erzählen Sie mir, was ich über Kreisler wissen muss!“
    Denzel starrte entgeistert auf den beschädigten Rahmen. Er sah Fachinger an, als hätte dieser eine Reliquie geschändet. Auf seiner Stirn trat eine Ader hervor, teilte sie in zwei Hälften. „Verpissen Sie sich aus meinem Büro!“, fauchte er, und das ordinäre Vokabular passte nicht zu seinem vornehmen Äußeren.
    „Erst, wenn Sie mir verraten, wo ich Kreisler finde. Ich kann Ihnen Schwierigkeiten machen, darauf können Sie Gift nehmen! Sie verheimlichen mir etwas.“
    Denzel, der schon im Begriff gewesen war, aufzuspringen, ließ die Schultern sinken. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Dann riss er einen Zettel von seinem Notizblock ab und kritzelte eine Adresse darauf, schob sie Fachinger zu, ohne diesen anzusehen.
    Dieser hob die buschigen Augenbrauen. „Das ist interessant“, sagte er. Auf dem Weg nach draußen konnte er einen Blick in ein anderes Büro werfen und entdeckte dort ebenfalls ein identisches Foto an der Wand.

11
    Zwanzig Minuten später saß er Kreisler gegenüber. Dem Mann aus seinen Träumen.
    Der ehemalige Hauptkommissar hing schief in seinem Stuhl, einen Arm auf dem Tisch, den anderen schlaff hinabhängend. Statt der leeren Kaffeetasse aus dem Traum stand eine halbvolle Schnabeltasse vor ihm, daneben lag ein bekleckertes Lätzchen, ungeschickt zusammengelegt. Seine Finger spielten mit der Schnur des Lätzchens, seine Augen waren ohne Fokus. Er roch nach Babypuder.
    Kreisler war Bewohner eines Pflegeheims. Die Schwester, mit der Fachinger gesprochen hatte, sah zwar anders aus als jene in seinem Traum, aber sie hatte ihm bereitwillig Auskunft über den Zustand des Mannes gegeben, nachdem er seinen Dienstausweis gezückt hatte.
    Kreisler war demenzkrank. Vor etwa sechs Jahren hatte die Krankheit begonnen, und nie mehr haltgemacht. Sein Gehirn hatte so sehr abgebaut, dass der Versuch,
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