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Faktotum

Faktotum

Titel: Faktotum
Autoren: Charles Bukowski
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entgegen. »Nehmen Sie Platz.« Er gab mir einen Bleistift und ein Formular. Ich füllte das Formular aus.
    »Ah? College?«
»Nicht direkt.«
»Wir arbeiten in der Werbung.«
»Oh?«
»Kein Interesse?«
»Naja, sehn Sie, ich male seit längerer Zeit. Kunstmaler,
    wissen Sie? Mir ist das Geld ausgegangen. Ich kann das Zeug nicht an den Mann bringen.«
»Von der Sorte kriegen wir hier viele.«
»Ja, ich kann sie auch nicht leiden.«
»Nehmen Sie’s nicht so tragisch. Vielleicht werden Sie nach Ihrem Tod noch ganz berühmt.«
Dann sagte er, der Job beginne zunächst einmal mit Nachtarbeit, aber es gebe jederzeit eine Chance, sich hochzuarbeiten.
Ich sagte zu ihm, daß mir Nachtarbeit ganz gelegen komme. Er sagte, ich könne in der U-Bahn anfangen.

20
    Zwei alte Knacker erwarteten mich an einer Haltestelle, die hoch über der Straße lag. Auf dem Nebengleis war eine Reihe von Waggons abgestellt. Sie klemmten mir eine Ladung Pappschilder unter den Arm und gaben mir ein metallenes Gerät, das wie ein Flaschenöffner aussah. Wir kletterten zusammen in einen der abgestellten Waggons.
    »Paß auf«, sagte der eine der beiden alten Knacker. Er sprang auf die staubigen Sitze, riß die alten Pappschilder mit Hilfe seines Flaschenöffners aus den Halterungen und
    arbeitete sich voran. Aha, so kommen diese Dinger also da oben hin, dachte ich. Es gibt Menschen, die sie da hinmachen.
    Jedes Reklameschild wurde von zwei Metallbändern gehalten, die man entfernen mußte, um das neue Schild anbringen zu können. Die Metallbänder folgten der Krümmung des Wagendaches und waren knallhart gespannt.
    Jetzt durfte ich es mal versuchen. Die Metallbänder widerstanden meinen Bemühungen. Sie ließen sich nicht von der Stelle bewegen. Die scharfen Kanten schnitten mir die Hände auf, während ich mich abmühte. Ich begann zu bluten. Jede Reklame, die man herausnahm, mußte man durch eine neue ersetzen. Bei jeder dauerte es eine Ewigkeit. Es war endlos.
    »Ganz New York ist voll von so grünen Wanzen«, sagte der eine alte Knacker nach einer Weile.
    »Ah ja?«
»Yeah. Bist du neu in New York?«
»Ja.«
    »Du hast nicht gewußt, daß in New York alle Leute solche grünen Wanzen haben?«

    »Nein.«

    »Yeah. Letzte Nacht wollte ne Frau mit mir ficken. Ich sagte,
    ›Nee, Baby, nix zu machen‹.«
»Yeah?«
»Yeah. Sagte zu ihr, wenn sie mir fünf Dollar gibt, dann mach
    ichs. Mußt für fünf Dollar Steak fressen, um so ne Ladung Saft zu ersetzen.«
»Hat sie dir die fünf Dollar gegeben?«
»Nee. ’ne Dose Campbell’s Champignonsuppe hat sie mir angeboten.«
Wir arbeiteten uns durch bis zum Ende des Waggons. Dann sprangen die beiden alten Männer hinten raus und gingen auf den nächsten Waggon zu, der ungefähr fünfzehn Meter entfernt stand. Wir befanden uns zwölf Meter über der Erde und hatten nur die blanken Schwellen unter den Füßen. Die Zwischenräume waren so groß, daß man bequem durchrutschen und abstürzen konnte.
    Ich stieg aus dem Waggon und tastete mich langsam über die Schwellen voran, in der einen Hand den Flaschenöffner, in der anderen die Pappschilder. Ein vollbesetzter U-Bahnzug hielt neben mir; in dem Licht aus seinen Fenstern konnte ich sehen, wo es lang ging.
    Dann fuhr der Zug ab; es war stockdunkel. Ich konnte weder die Schwellen noch die Zwischenräume erkennen. Ich blieb stehen.
    Die beiden alten Knacker standen am nächsten Waggon und brüllten zu mir herüber: »Mach schon! Beeil dich! Wir ham noch ne Menge zu tun!«
    »Wartet! Ich kann nichts sehen!«
»Wir können nicht die ganze Nacht verplempern!« Meine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit.
    Langsam ging ich weiter, Schritt für Schritt. Als ich im nächsten Waggon war, legte ich die Pappschilder auf den Boden und setzte mich hin. Meine Knie schlotterten.
    »Was is los?«
»Ich weiß nicht.«
»Was hast du denn?«
»Hier oben kann einer draufgehn.«
»Bis jetzt ist noch keiner runtergefallen.«
»Ich hab das Gefühl, bei mir könnte es passieren.«
»Das redest du dir bloß ein.«
»Ich weiß. Wie komm ich hier runter?«
»Direkt da drüben ist ne Treppe. Aber da mußt du über ne
    Menge Schienen weg. Und auf die Züge mußt du aufpassen.« »Ja.«
»Und tritt bloß nicht auf das dritte Gleis.«
»Warum?«
»Da ist der Strom drin. Das ist das goldene Gleis. Sieht aus
    wie Gold. Wirst es schon sehn.«
    Ich stieg aus dem Waggon und begann über die Schienen zu gehen. Die zwei alten Männer sahen mir zu. Da war das goldene Gleis. Ich
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