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Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451
Autoren: Ray Bradbury
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ungehalten?«
    »Du!«
    »Ich?«
    »Du bist böse auf mich!«
    »Warum sollte ich böse sein auf dich?«
    »Deshalb!«
    »Alles gut und schön«, rief Montag, »aber worüber sind sie denn böse? Wer sind überhaupt diese Leute? Wer ist dieser Mann und wer ist diese Frau? Sind Sie verheiratet oder geschieden oder verlobt oder was sonst? Du lieber Himmel, es ist überhaupt kein Zusammenhang da.«
    »Die beiden ...«, begann Mildred. »Nun, sie – sie bekamen Streit, weißt du. Sie streiten sich den ganzen Tag herum. Du solltest es dir anhören. Ich glaube, sie sind verheiratet. Ja, sie sind verheiratet. Warum?«
    Und wenn es nicht die drei Wände waren, die sich bald zu vier Wanden auswachsen sollten, damit der Traum vollkommen sei, dann war es der offene Wagen, den Mildred mit hundertfünfzig Stundenkilometern durch die Stadt fuhr, und wenn er ihr etwas zuschrie, schrie sie etwas zurück, ohne daß sie einander verstanden. »Bleib wenigstens auf dem Minimum!« schrie er. »Wie?« schrie sie zurück. »Bleib auf achtzig, dem Minimum!« schrie er. »Auf was?« kreischte sie. »Die Geschwindigkeit«, versuchte er zu erklären. Und sie ging auf hundertfünfundfünfzig Kilometer, daß es ihm den Atem verschlug.
    Wenn sie dann aus dem Wagen stiegen, hatte sie ihre Funkmuscheln im Ohr.
    Stille. Nur das leise Wehen des Windes.
    »Mildred.« Er drehte sich im Bett um.
    Dann langte er hinüber und zog ihr eines der winzigen musikalischen Insekten aus dem Ohr. »Mildred. Mildred?«
    »Ja.« Wie von weither.
    Er hatte das Gefühl, eine der Gestalten zu sein, die sich elektronisch zwischen den Scheiben der Tonfarbwände bewegten; er sprach, aber ohne daß seine Worte die Schranke aus Glas durchbrachen. So konnte er es nur noch mit stummem Spiel versuchen, in der Hoffnung, sie werde sich nach ihm umdrehen und ihn sehen. Berühren konnten sie sich durch die Glaswand nicht.
    »Mildred, du kennst doch das Mädchen, von dem ich dir erzählte.«
    »Was für ein Mädchen?«
    »Das Mädchen von nebenan.«
    »Welches Mädchen von nebenan?«
    »Du weißt doch, das Schulmädchen. Clarisse heißt es.«
    »Ach so«, sagte seine Frau.
    »Ich habe es seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen – seit vier Tagen, genau gesprochen. Hast du es gesehen?«
    »Nein.«
    »Ich wollte mit dir über das Mädchen reden. Merkwürdig.«
    »Ach, jetzt weiß ich, wen du meinst.«
    »Ich dachte, daß du es kennst.«
    »Doch«, sagte Mildred im Dunkeln.
    »Was ist mit ihm?« fragte Montag.
    »Ich wollte es dir sagen. Hab' es ganz vergessen.«
    »Sag es mir jetzt. Was war's denn?«
    »Es ist nicht mehr da.«
    »Nicht mehr da?«
    »Die ganze Familie ist weggezogen. Aber das Mädchen ist ein für allemal weg. Ich glaube, es ist tot.«
    »Dann sprechen wir nicht von demselben Mädchen.«
    »Doch. Dasselbe. McClellan. Ist überfahren worden vor vier Tagen. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, das Mädchen ist tot.«
    »Du weißt es nicht genau?«
    »Nein, nicht genau. Ziemlich sicher.«
    »Warum hast du es mir nicht gleich erzählt?«
    »Hab's vergessen.«
    »Vor vier Tagen!«
    »Ich habe es eben vergessen.«
    »Vor vier Tagen«, sagte er vor sich hin, während er dalag. Da lagen sie in dem dunklen Zimmer, ohne sich zu rühren. »Gute Nacht«, sagte sie.
    Er hörte etwas knistern. Ihre Hand bewegte sich. Der elektrische Fingerhut kroch wie eine Fangheuschrecke über das Kissen, von ihrer Hand geführt. Jetzt stak er wieder in ihrem Ohr und summte.
    Auch seine Frau summte leise vor sich hin.
    Draußen vor dem Haus bewegte sich ein Schatten. Ein Herbstwind sprang auf und legte sich wieder. Aber Montag hörte noch etwas anderes. Es war, als würde ans Fenster gehaucht, wie ein Fetzen grünlich schimmernden Rauches, wie ein mächtiges Oktoberblatt, das über den Rasen hin schwebte.
    Der Mechanische Hund, dachte er. Der Hund ist heute nacht dort draußen. Er steht jetzt vor dem Hause. Wenn ich das Fenster aufmachte ...
    Er machte das Fenster nicht auf.
     
    Am Morgen hatte er Fieber.
    »Du wirst doch nicht krank sein«, sagte Mildred.
    Er schloß die Augen. »Doch.«
    »Gestern abend warst du noch wohl.«
    »Nein, mir war nicht gut.« Er hörte die ›Verwandtschaft‹ in der Stube lärmen.
    Mildred trat neugierig an sein Bett. Er merkte, daß sie da stand, er sah sie über sich, ohne die Augen aufzumachen, ihr Haar von Chemikalien zu sprödem Stroh zerfressen, die Augen mit einer Art Star, den man nicht sah, nur ahnte, weit hinter den Pupillen, die rotbemalten,
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