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Fahr zur Hölle Mister B.

Fahr zur Hölle Mister B.

Titel: Fahr zur Hölle Mister B.
Autoren: Clive Barker
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gerade hinter mir ließ – ohne Verständnis, ohne Liebe und ohne Zukunft, abgesehen von einer ähnlich verbitterten, freudlosen Existenz, wie Mama und Pappy sie führten?
    Inzwischen wurden wir mit recht ansehnlicher Geschwindigkeit in die Höhe gehievt; ich sah die Landschaft meiner Kindheit ausgebreitet unter mir liegen. Das Haus, wo Mama auf der Schwelle stand – eine winzige Gestalt weit außerhalb der Reichweite meiner lautesten Schreie, selbst wenn ich es versucht hätte, was ich jedoch bleiben ließ. Und dort breitete sich, so weit das Auge reichte, in alle Richtungen der trostlose Anblick der Ödnis aus; die Müllhalden, die immer so imposant ausgesehen hatten, als ich mich in ihren Schatten aufhielt, wirkten von hier oben unbedeutend, selbst da, wo sie sich an der Grenze des Neunten Kreises in beeindruckende Höhen aufschwangen. Jenseits des Kreises lag nichts. Nur eine Leere, ein ungeheures Niemandsland, weder schwarz noch weiß, sondern von unergründlicher grauer Farbe.
    »Jakabok! Hörst du mich?«
    Gatmuss sprach mich aus seinem Netz an, wo er sich dank seiner Gegenwehr mittlerweile in einer höchst unbequemen Haltung befand. Seine Knie drückten gegen das Gesicht, während seine Arme in unnatürlichen Winkeln aus dem Netz ragten.
    »Ja, ich höre dich«, sagte ich.
    »Hast du das etwa eingefädelt? Damit ich dumm aussehe?«
    »Dafür brauchst du keine fremde Hilfe«, versicherte ich ihm. »Und nein, natürlich habe ich das nicht eingefädelt. Was für eine infantile Frage.«
    »Was ist infantil?«
    »Ich fange jetzt ganz sicher nicht damit an, dir Bildung zu vermitteln. Das wäre vergebliche Liebesmüh. Du bist als Dummkopf auf die Welt gekommen und wirst als Dummkopf sterben, ohne dass du je etwas gekannt hättest, außer deiner egoistischen Gier.«
    »Du hältst dich für sehr schlau, was, Junge? Mit deinen vornehmen Worten und hochgestochenen Manieren. Also, mich beeindrucken die nicht. Ich habe eine Machete und ein Gewehr. Und sobald wir aus dieser albernen Lage raus sind, werde ich so schnell hinter dir her sein, dass dir keine Zeit mehr bleibt, deine Finger zu zählen, bevor ich sie abschneide. Oder deine Zehen. Oder deine Nase.«
    »Meine Nase kann ich schwerlich zählen, du Schwachkopf. Ich habe nur eine.«
    »Da, und schon wieder redest du daher, als wärst du groß und mächtig. Du bist gar nichts, Junge. Warte nur ab! Warte, bis ich mein Gewehr finde. Oh, was ich mit diesem Gewehr alles anstellen kann! Ich könnte dir glatt die Überreste deines Kindermachers wegschießen, einfach so!«
    Und so salbaderte er weiter, ein endloser Schwall von Verachtung und Wehklagen, gewürzt mit Drohungen. Kurzum, er hasste mich, weil Mama nach meiner Geburt jegliches Interesse an ihm verloren hatte. Früher, sagte er, hätte er einen narrensicheren Trick gekannt, um Mamas Aufmerksamkeit zurückzugewinnen, wenn sie einmal abgelenkt war, doch jetzt hätte er Angst, auf diesen Trick zurückzugreifen, denn er hätte zu gern eine Tochter, wohingegen ein weiterer ungewollter Sohn lediglich eine Verschwendung seiner Betörungen und Prügel wäre. Ein Fehler sei genug, mehr als genug, tobte er, und ließ sich über meine Unzulänglichkeiten aus.
    Derweil ging unser anfänglich holperiger Aufstieg ungehindert und geschwind weiter. Wir passierten eine dunkle Wolkenschicht und gelangten in den Achten Kreis, wo wir in einer felsigen Einöde aus einem zerklüfteten Krater herauskamen. Ich war nie weiter als ein paar Hundert Meter von meinem Elternhaus entfernt gewesen und hatte nur höchst vage Vorstellungen vom Leben in den anderen Kreisen. Ich hätte gern mehr Zeit gehabt, den Achten Kreis zu studieren. Aber wir bewegten uns inzwischen so schnell, dass ich kaum mehr als flüchtige Blicke auf die Tausenden von Verdammten werfen konnte, die mit gekrümmten, nackten Rücken ein enormes, konturloses Etwas über das unebene Gelände zogen. Dann wurde ich abermals vorübergehend geblendet, diesmal von der Dunkelheit des Achten Himmels, und kam Sekunden später keuchend und spuckend wieder heraus, da man mich durch die übel riechende Flüssigkeit eines von Schlingpflanzen verstopften Flusses in der Sumpflandschaft des Siebten Kreises gehievt hatte. Vielleicht war es dieses Bad im Morast, das ihn so wütend machte, vielleicht war auch einfach die Tatsache, was mit uns geschah, endlich in seinen Dickschädel durchgedrungen, jedenfalls verwünschte er mich in diesem Augenblick mit den unflätigsten Schimpfworten und gab
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