Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exit to Eden

Exit to Eden

Titel: Exit to Eden
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
ein Tonbandgerät und ungeöffnete Päckchen hübsch dekorierter Spielkarten. Ich nahm eine der Taschenbuchausgaben von Sherlock Holmes in die Hand.
    Dann ging, ohne ein Klopfen, die Tür auf. Ich schrak zusammen.
    Es war der Arzt, keine Frage, in einem gestärkten weißen Kittel. Mit ungezwungenem, liebenswürdigem Ausdruck stellte er die unvermeidliche schwarze Tasche ab. Ohne den Kittel und die schwarze Tasche wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß er Arzt war. Er sah aus wie ein schlaksiger Jugendlicher, fast noch ein bisschen verpickelt und schlaff, und sein kurzes braunes Haar war so zerzaust, wie nur kurzes Haar zerzaust sein kann. Vielleicht hatte er gerade einen vierundzwanzigstündigen Bereitschaftsdienst hinter sich. Höflich, aber besorgt nahm er sofort sein Stethoskop und bat mich, das Hemd auszuziehen. Dann zog er einen Karteiordner aus der Tasche und klappte ihn auf dem Bett auf.
    »Herr Elliott Slater«, sagte er, kratzte sich am Hinterkopf und schaute mich prüfend an. Er klopfte meine Brust ab. »Neunundzwanzig. Bei guter Gesundheit? Keine Probleme irgendwelcher Art? Regelmäßig beim Arzt?« Er drehte sich um, um noch mal die Kartei zu konsultieren und einen Blick auf den unterschriebenen Gesundheitsreport zu werfen. »Das ist alles untersucht worden«, sagte er mit singendem Tonfall, »aber wir möchten Sie dennoch von Angesicht zu Angesicht befragen.«
    Ich nickte.
    »Sie treiben Sport, nicht wahr? Sie rauchen nicht. Das ist gut.«
    Mein Hausarzt hatte natürlich nicht gewußt, wozu die Untersuchung diente, als er den Bericht ausfüllte. »Tauglich für die Teilnahme an einem langfristigen, anstrengenden athletischen Trainingsprogramm«, hatte er unten in seiner beinahe unleserlichen Handschrift in das weiße Feld gekritzelt.
    »Alles scheint in Ordnung zu sein, Herr Slater«, sagte der Arzt und verstaute den Ordner wieder in seiner Tasche. »Essen Sie vernünftig, schlafen Sie ordentlich, genießen Sie die Reise. Durch die Fenster werden Sie nicht viel sehen können; sie sind mit einem Film überzogen, der alles etwas verschwommen erscheinen läßt. Und eines raten wir Ihnen: keine sexuelle Stimulation während der Reise.« Er schaute mir direkt in die Augen. »Sie wissen, was ich meine «
    Ich schrak zusammen, aber ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen. Er wußte also auch Bescheid. Ich gab keine Antwort.
    »Wenn Sie im Club ankommen, sollten Sie sich in einem Zustand sexueller Spannung befinden«, sagte er auf dem Weg zur Tür. Er hätte mir ebenso sagen können, ich solle ein Aspirin nehmen und ihn nächste Woche anrufen. »Sie sind dann leistungsfähiger. Ich werde jetzt die Tür abschließen, Herr Slater. Sie wird sich automatisch öffnen, falls es einen Notfall an Bord geben sollte - es gibt mehr als ausreichend Sicherheitsvorkehaber ansonsten wird sie nicht aufgeschlossen werden.
    Haben Sie noch eine Frage?«
    »Hmm. Eine letzte Frage!« Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Aber mir fiel nichts ein. Mein Herz pochte ein bißchen zu schnell. Ich schaute ihn einen Moment an. »Nein, danke, Doktor«, sagte ich dann, »ich glaube, es ist alles besprochen. Es wird hart werden, mir keinen runterzuholen, denn ich habe nie gewollt, daß mir Haare auf den Handflächen wachsen.«
    Er lachte so unvermittelt, daß er wie ein ganz anderer Mensch aussah. »Genießen Sie's, Herr Slater«, sagte er und versuchte, sein Grinsen unter Kontrolle zu bekommen. Die Tür schloß sich hinter ihm, und ich hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde.
    Geraume Zeit saß ich auf dem Bett und starrte auf die Tür. Zwischen meinen Beinen rührte sich etwas. Aber ich beschloß zu versuchen, das Spiel mitzuspielen. Es war, als wäre ich wieder zwölf Jahre alt und hätte einfach aufgrund allgemeiner Prinzipien ein schlechtes Gewissen. Zudem war mir klar, daß er recht hatte. Es war besser, bei der Ankunft im Club alle Systeme startklar und aktionsbereit zu haben, statt mit leerem Tank zu landen.
    Und soweit ich wußte, beobachteten sie mich durch die Spiegel. Ich war ihnen ausgeliefert. Erstaunlich, daß auf dem Armkettchen nicht »Sklave« stand. Ich hatte sämtliche Formulare selbst unterschrieben.
    Ich nahm ein Buch aus dem Regal ... keine erotische Literatur, machte es mir auf den Kissen bequem und begann zu lesen. James M. Cain. Fabelhaft, aber ich hatte es schon gelesen. Ich griff nach dem Sherlock Holmes. Es war eine wundervolle, vollständige Faksimile-Ausgabe der Originalgeschichten im Strand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher