Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ewiges Verlangen

Ewiges Verlangen

Titel: Ewiges Verlangen
Autoren: Laura Wright
Vom Netzwerk:
an!«
    Der heftige Gestank nach frischem Brot erfüllte die Luft und vermischte sich mit dem Klang gemeinschaftlichen Lachens.
    »So zugedröhnt bin ich nicht mehr gewesen, seit die Mets die Play-offs gewonnen haben«, sagte ein anderer Mann. »Vorsicht da, Junge. Bepiss dich nicht.«
    Blind wie ein Wolfsjunges, an die schmutzige Metallstange gepresst, fauchte Alexander, und seine Fänge vibrierten vor Verlangen zuzuschlagen. Fahrt weiter, wenn ihr am Leben bleiben wollt.
    »Schlaf dich aus, Junge«, sagte einer der Männer, bevor er Gas gab.
    Etwas, das sich wie Öl anfühlte, sickerte Alexanders Kehle hinab. Es war dickflüssig und zielstrebig und hielt auf seine Lunge zu. Plötzlich war da keine Luft mehr.
    Keine Luft zum Einatmen. Keine Luft zum Ausatmen.
    Der Druck war unerträglich, und Alexander sank auf die Knie, die Hände an beide Seiten seines Kopfes gepresst. Dies war kein weiterer Ausdruck des Hungers. Dies war etwas vollkommen anderes.
    Seine Ohren fühlten sich so an, als wäre etwas in sie hineingestopft worden … Lumpen, Lumpen, mit einhundert verdammten Fliegen darin. Er keuchte, um seine schmerzende Lunge wenigstens mit einem Hauch von Luft zu versorgen, und begann dann auf das zuzukriechen, wovon er hoffte, dass es die Treppe zu den Sandsteingebäuden war. Er wusste, dass die meisten Gebäude in diesem Block Parterrewohnungen mit Gärten aufwiesen. Könnte er einen dieser Gärten erreichen, hätte er den benötigten Schutz. Es war kurz vor Tagesanbruch, und er war fünfzehn Blocks von zu Hause und vier Blocks von den Tunneln entfernt.
    Tagesanbruch.
    Etwas, was er in den gesamten zweihundert Jahren seines Lebens nie gefürchtet hatte. Bis genau zu diesem Moment nicht.
    Es sollte nicht möglich sein, dachte er, als er die Kanten der eiskalten Steinstufen unter seinen Fingern spürte. Es war zu früh. Aber mit jeder Schmerzwelle, mit jedem instinktiv warnenden Gedanken, dass er Schutz suchen sollte, wuchs die Gewissheit, dass es stimmte. Er befand sich im Prozess der Umwandlung, und er hatte nur noch wenige Minuten Zeit, bevor die Sonne ihn erwischen und verbrennen würde.
    Während er unbeholfen die Stufen hinabkroch, zog ein frischer Wind auf und umschloss ihn mit einem Wirbel vergessenen Winterlaubs, dessen scharfe, gezackte Ränder auf seine empfindliche Haut einstachen. Seine Sicht kehrte zurück, beidäugig, tunnelartig und ziellos. Er blinzelte und erblickte vor sich den kleinen Schutzraum. Seine Muskeln zitterten unter kurzen, bis in die Knochen schmerzenden Anfällen weiterhin, während er sich erhob und die restlichen Stufen hinab in den überdachten Eingang einer Parterrewohnung des Gebäudes stolperte.
    Er musste hineingelangen. Er brauchte vollkommenen Schutz.
    Er kauerte sich auf Knien an die Tür, griff aufwärts, packte den Türknauf und fluchte, als er die Tür verschlossen fand.
    Welche Straße ist das? Wo sind die Tunnel?
    Plötzlich traf es ihn wie ein glühender Pfeil, zornige Sonnenstrahlen auf seiner Haut.
    Dämmerung.
    Er schaute auf. Über ihm war der schützende, indigofarbene Schild der Himmelskuppel den blassen, harten Streifen eines lavendelfarbenen und rötlichen Sonnenaufgangs gewichen.
    Alexander schrie auf, wandte sich um und griff erneut nach der Tür. Bei jedem brennenden Reißen an seiner Haut traten ihm mehr Tränen in die Augen, seine Nase lief, und er hatte Mühe, sich unter dem akuten, todbringenden Schmerz nicht zu übergeben.
    Nun ergab alles Sinn. Der verzweifelte Hunger, der unerbittliche Schmerz – er wurde vor seiner Zeit der Umwandlung unterzogen.
    Einhundert Jahre vor seiner Zeit.
    Er schrie mit weit geöffnetem Mund und gebleckten Fängen in den Sonnenaufgang hinaus und brach dann an der Tür zusammen.
    Sara ging die West 11th hinab auf ihre Wohnung zu, wobei sie die Wolljacke enger um ihren Hals zog, um sich vor der kalten Morgenluft zu schützen. Ihr Geist war ebenso erschöpft wie ihr Körper, und sie fühlte sich sehr schwach. Sie musste täglich für Gray kämpfen, aber die Vorkommnisse der letzten Nacht hatten sie stärker beeinträchtigt, als sie sich eingestehen wollte. Sie sah sich gerne als knallharte Frau, als jemand, der sich selbst und andere um sich herum so lange antrieb, bis sich die Antworten zeigten – und dann zum nächsten Rätsel überging, das es zu lösen galt. Aber Grays latenter Selbstmordversuch hatte in ihr zum ersten Mal seit der Ausbildung die Frage aufgeworfen, ob sie an diesem Fall letztendlich scheitern würde.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher