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Ewige Schreie

Ewige Schreie

Titel: Ewige Schreie
Autoren: Jason Dark
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kräftigen Händedruck. Als wir abfuhren, winkten sie uns hinterher.
    Helen Cloud meinte: »Ich finde es wunderbar, wenn man noch beide Eltern hat, John.«
    »Da sagen Sie was, Mädchen, und ich hoffe, daß es auch noch lange so bleiben wird…«
    ***
    Er hatte sich eine Leiter geholt und aufgestellt. Direkt neben die Erhängte. Als er die Leiter hochstieg und ihr Gesicht dicht vor dem seinen sah, zuckte er zurück.
    Nichts war mehr von dem einst so hübschen Gesicht seiner Frau zurückgeblieben. Es war nur noch eine Grimasse, ein unförmiges Etwas, kaum mehr als menschlich zu bezeichnen.
    Er hob den rechten Arm. In der Hand hielt er ein scharfes Messer mit Sägeklinge.
    Dann schnitt er. Dabei keuchte er, denn die Fasern des Stricks waren verflucht zäh. James McMullogh preßte die Lippen hart zusammen, auf der Stirn glitzerte der kalte Schweiß, sein Atem roch nach Alkohol, und die Luft pumpte schwer durch seine Nase.
    Ein letzter Schnitt, ein Ruck, der Strick riß, die Leiche polterte zu Boden. James blieb noch auf der Leiter stehen, starrte zuerst auf das Messer und dann auf seine am Boden liegende Frau. Er schüttelte sich und sah die schwarzen, fetten Fliegen, die über der Toten ihre Kreise zogen. Manche Flügel schimmerten grünlich, und er schlug mit den Händen nach den tanzenden Insekten. Für eine Weile konnte er sie verscheuchen, bis sie zurückkehrten und weiterhin ihre Reigen flogen. Dann stieg er von der Leiter. Das Messer warf er zu Boden und ließ es liegen.
    Die Tote war auf die Seite gefallen. Wie eine Puppe sah sie aus. Von dem Gesicht war nichts zu erkennen, weil das Haar sich ausgebreitet und es verdeckt hatte.
    Die schwerste Aufgabe stand noch bevor. Die körperlich schwerste, denn er mußte die Leiche die steile Stiege zum ersten Stock hinuntertragen.
    Ein Kraftmeier war James McMullogh nie gewesen. Aus diesem Grunde fiel es ihm auch schwer, die Tote anzuheben und über die Schulter zu wuchten.
    Er strengte sich sehr dabei an, schaffte es erst beim zweiten Versuch und sank trotzdem in die Knie, als er das Gewicht auf seiner rechten Schulter spürte.
    Mit wackligen Schritten durchquerte er den Speicher, auf dem die stickige Luft noch immer wie eine Wand lag. Er hatte das Gefühl, durch eine zähe Masse zu laufen, wahrscheinlich jedoch lag es an seiner eigenen Schwäche, daß er so reagierte.
    Dann kam die Leiter. Es war schwierig genug, die Sprossen hinunterzusteigen. Fast wäre er ausgerutscht. Mit einem raschen Griff jedoch konnte er sich halten.
    Seine Knie zitterten, als er nach unten ging. Die Arme der Toten pendelten, und eine Hand schwang immer dicht vor seinem Gesicht in die Höhe.
    Er mußte daran denken, wie glücklich sie gewesen waren. Über fünfzehn Jahre waren sie verheiratet. Als junges Mädchen hatte James seine Gladys kennengelernt. Sie hatte in einem kleinen Ort an der englischen Westküste gewohnt, eine Landschönheit, wie die Städter sagten. Es hatte ihr nichts ausgemacht, mit ins kühlere Edinburgh zu gehen, ihre Liebe war zu groß gewesen. Dann hatten sie sich das alte Haus in Walham gekauft und es umgebaut. Für Gladys war damit ein Traum in Erfüllung gegangen.
    Und jetzt war alles vorbei.
    Selbstmord!
    Weshalb hatte Gladys Selbstmord begangen? Diese Frage quälte ihn stark. Er versuchte verzweifelt darauf eine Antwort, war jedoch nicht in der Lage, eine zu finden. Auch hatte er sich Vorwürfe gemacht und darüber nachgedacht, ob er etwas falsch gemacht hatte, aber er war sich keiner Schuld bewußt.
    Als er die Stiege hinter sich gelassen hatte, zitterten seine Beine so sehr, daß er die Tote am liebsten fallen gelassen hätte, doch er riß sich noch einmal zusammen und nahm Kurs auf die Treppe, die nach unten führte. Am Handlauf hielt er sich fest. Noch immer bebten seine Knie, und er sprach flüsternd den Namen seiner geliebten und jetzt toten Frau aus. Als er das Erdgeschoß erreichte, ließ er die Leiche von der Schulter gleiten, setzte sie auf den Boden und drückte sie mit dem Rücken so gegen die Wand, daß sie sitzenblieb. Er konnte nicht mehr. Die Hitze und der Transport der Toten hatten ihn körperlich geschafft. Hinzu kam noch der seelische Druck.
    Mit müden Beinen taumelte er in die Küche, öffnete den Kühlschrank und sah die Dosen mit Bier. Eine holte er hervor und riß den Verschluß auf. Der helle Schaum quoll durch die Öffnung, als er sie ansetzte und das kalte Getränk hastig in sich hineinkippte. Er schluckte kaum, sondern ließ das Bier einfach
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