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Evernight Bd.1 Evernight

Evernight Bd.1 Evernight

Titel: Evernight Bd.1 Evernight
Autoren: Claudia Gray
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meiner alten Schule hatten sie uns im Selbstverteidigungs-Workshop gesagt, wir sollten immer auf die Augen zielen, also den Typen ganz ernsthaft die Augen ausstechen. Ich hatte immer gedacht, dass ich das könnte, wenn ich mich selbst oder jemand anderen retten müsste, aber nun war ich vor Angst wie gelähmt und mir absolut nicht sicher, dass ich das schaffen würde. Ich bog die Finger und versuchte, allen Mut zusammenzunehmen.
    In diesem Augenblick flüsterte der Kerl: »Hast du gesehen, wer hinter dir her war?«
    Einige Sekunden lang starrte ich ihn einfach nur an. Dann löste er die Hand von meinem Mund, sodass ich antworten konnte. Sein Körper lag schwer auf meinem, und die Welt schien sich zu drehen. Endlich sagte ich: »Du meinst: Wer außer dir?«
    »Außer mir?« Er hatte keine Ahnung, wovon ich sprach. Verstohlen warf er einen Blick hinter uns, als erwarte er einen Angriff. »Du bist doch vor jemandem davongelaufen, oder?«
    »Ich bin einfach nur gerannt. Es war niemand außer dir hinter mir her.«
    »Du meinst, du hast gedacht…« Der Typ sprang sofort auf, sodass ich frei war. »Oh, zur Hölle. Tut mir leid. Ich wollte nicht… Mann, ich muss dich ja zu Tode erschreckt haben.«
    »Du hast versucht, mir zu Hilfe zu kommen?« Ich musste es aussprechen, ehe ich es selbst glauben konnte.
    Rasch nickte er. Sein Gesicht war nahe vor meinem, zu nahe, und es versperrte mir den Blick auf den Rest der Welt. Es schien nichts mehr zu geben außer uns und den Nebelschwaden. »Ich weiß, dass ich dir einen Mordsschrecken eingejagt haben muss, und das tut mir leid. Ich dachte wirklich…«
    Seine Worte machten die Sache nicht besser. Mir wurde immer schwindeliger. Ich brauchte Luft und meine Ruhe, und an beides war nicht zu denken, während er so dicht vor mir stand. Ich fuchtelte mit dem Finger in seine Richtung und sagte etwas, das ich praktisch mein ganzes Leben lang noch zu niemandem gesagt hatte und bestimmt noch nie zu einem Fremden, schon gar nicht zu dem erschreckendsten Fremden, dem ich je begegnet war: »Halt - doch - einfach - den - Mund.«
    Er hielt den Mund.
    Mit einem Seufzer ließ ich meinen Kopf wieder auf den Boden sinken. Ich legte die Handflächen auf meine Augenlider und drückte so fest, dass ich rote Flecken vor den Augen sah. Mein Mund schmeckte unverkennbar nach Blut, und mein Herz hämmerte so laut, dass es meinen Brustkorb zu sprengen drohte. Ich hätte mir in die Hose pinkeln können, was so ziemlich das Einzige gewesen wäre, was die Lage noch erniedrigender gemacht hätte, als sie bereits war. Stattdessen zwang ich mich dazu, tief ein- und auszuatmen, bis ich mich wieder kräftig genug fühlte, um mich aufzusetzen.
    Der Typ saß noch immer neben mir. Schließlich gelang es mir, ihn zu fragen: »Warum hast du mich umgeworfen?«
    »Ich dachte, wir müssten uns verstecken und vor demjenigen verbergen, der hinter dir her war, aber es hat sich ja herausgestellt…«, er sah verlegen aus, »dass es ihn gar nicht gab.«
    Er senkte den Kopf, und ich sah ihn zum ersten Mal genauer an. Vorher war kaum Zeit dafür gewesen, irgendetwas an ihm zu bemerken. Wenn dein erster Eindruck von jemandem der eines »Psychokillers« ist, dann nimmst du dir nicht die Zeit, auf Einzelheiten zu achten. Jetzt jedoch konnte ich sehen, dass er kein erwachsener Mann war, wie ich zuerst geglaubt hatte. Obwohl er groß war und breite Schultern hatte, war er jung und vermutlich ungefähr in meinem Alter. Er hatte glatte, goldbraune Haare, die ihm in die Stirn fielen und von der Verfolgungsjagd zerzaust waren. Sein Unterkiefer war kräftig und kantig, und er hatte einen festen, muskulösen Körper und erstaunlich dunkelgrüne Augen.
    Am bemerkenswertesten überhaupt jedoch war, was er unter seinem langen schwarzen Mantel trug: abgestoßene schwarze Stiefel, schwarze wollene Hosen und ein dunkelrotes Sweatshirt mit V-Ausschnitt, auf dem ein Wappen prangte. Auf jeder Seite eines silbernen Schwertes war ein Rabe aufgestickt. Es war das Wappen von Evernight.
    »Du bist ein Schüler hier an der Akademie«, stellte ich fest.
    »Ein zukünftiger Schüler zumindest.« Er sprach leise, als befürchtete er, mich wieder zu verschrecken. »Und du?«
    Ich nickte, dann schüttelte ich mein wirres Haar aus und begann es wieder hochzustecken. »Das ist mein erstes Jahr. Meine Eltern sind Evernight-Lehrer, also sitze ich hier fest.«
    Das schien ihm seltsam vorzukommen, denn er schaute mich mit gerunzelter Stirn an, und seine grünen Augen
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