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Eve - Das brennende Leben

Eve - Das brennende Leben

Titel: Eve - Das brennende Leben
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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bis in die Knochen ihrer Hände. Wie verrückt hatten die beiden Jungen gekichert …
    Drem rieb sich die Augen und merkte, dass er weinte.
    Jemand näherte sich ihm und räusperte sich leise. Drem sah auf. Vor ihm stand ein Mann mittleren Alters mit grauem Bart und grauen Haaren, der die vertraute rotschwarze Robe der Blutentleerer trug. Sie waren eine Kombination aus Gesetzeshütern und religiösen Führern der Sani Sabik. Egal, ob man einen Priester oder einen Polizisten benötigte, man suchte einen Blutentleerer auf. Sie übernahmen den Vorsitz über religiöse Zusammenkünfte, traten als Hebammen und Beerdigungsunternehmer auf, und es war ein alter Witz, dass man im wahrsten Sinne des Wortes vom ersten bis zum letzten Atemzug von Blutentleerern überwacht wurde.
    »Sei gegrüßt, Vater«, sagte Drem gepresst. Er machte sich nicht die Mühe, die Tränen von seinem Gesicht zu wischen.

    Der Blutentleerer setzte sich neben ihm ins Gras. »Sei gegrüßt, mein Sohn. Ich bin Bruder Theus. Ich habe gehört, dass es in diesem Hause einen Verlust zu beklagen gibt.« Seine Lippen zeigten ein wohldosiertes Lächeln, das von unzähligen Falten in seinem Gesicht festgehalten wurde. Die tiefe Betroffenheit war durchzogen mit Erfahrung. Drem wagte nicht, darüber zu spekulieren, wie viel davon echt war und nicht auf jahrelanger Übung im Umgang mit Trauer beruhte. Dennoch fand er sie beruhigend und war dem Mann dankbar.
    »Mein Bruder«, sagte Drem. »Er starb offensichtlich letzte Nacht im Schlaf. Er war … nun ja, ich weiß es nicht.« Er seufzte und sah zum Himmel auf. »Er hatte unter anderem einige Schwierigkeiten durch seine Krankheit. Aber nichts, das so etwas hervorrufen würde.«
    »Krankheit?«, fragte Theus.
    »Sabiks Sepsis. Sie war nicht schwerwiegend, aber sie hat eine Menge Probleme mit sich gebracht, die uns Kopfzerbrechen bereiteten. Leip hatte einen Blutreiniger, den er zweimal täglich benutzte. Das hat auch geholfen. Aber man kann nicht so krank sein wie er und dann darauf hoffen, unbeschadet davonzukommen. « Dann hörte er, was er da gesagt hatte. »Oder überhaupt davonzukommen«, fügte er seufzend hinzu.
    »Es ist immer schwer, wenn ein Kind die Familie verlässt«, sagte Theus.
    »O nein, er war erwachsen. Nicht alt, er war in den Zwanzigern«, erwiderte Drem.
    »Dein Bruder hatte eine dauerhafte Blutvergiftung?«, fragte der Priester. Es war weniger eine Frage als beinahe eine Verurteilung. Die Sorgenfalten im Gesicht des alten Mannes wurden tiefer. Jetzt fand Drem sie nicht mehr so tröstlich.
    »Gibt es ein Problem?«, fragte er den Priester.
    »Ich muss hineingehen, mein Sohn, und die Familie aufsuchen. Bist du der nächste Verwandte des Verstorbenen?«

    »Ja, Vater, das bin ich.«
    »Dann werden wir reden müssen.«
    Am nächsten Tag begab sich Drem mit einem Kopf voll düsterer Gedanken zum Haus seiner Großmutter, um dort mit der Familie die Totenwache zu halten. Den ganzen Tag über würden Menschen kommen und gehen. Sie mussten einen jungen Mann beerdigen und – wie Drem herausgefunden hatte – ein schreckliches Problem lösen.
    Das Haus roch süßlich nach Gewürzen und Blumen, die zum Lufttrocknen ausgelegt waren. Derutala, die von der Familie Granny Deru genannt wurde, hatte den ganzen Tag über gebacken und gekocht. Drem vermutete, dass sie einfach etwas zu tun haben wollte. Als er hereinkam, befand sie sich in der Küche. Sie war schwer beschäftigt mit dem Backofen. Nur sie konnte ihn bedienen, ohne den Inhalt zu verbrennen. Alles hier bestand aus Stahl und Geduld, einschließlich Granny Deru.
    Drem ging hinüber ins Wohnzimmer. Sein Cousin Vonus war dort, stand neben einem Regal und betrachtete die metallischen Bilderrahmen. Vonus’ Frau saß neben ihm in einem Sessel und hielt ihren Säugling in den Armen. Sie waren nur wenig älter als Drem und bauten sich gerade ihr Leben auf.
    Am anderen Ende des Zimmers stand ein Mann, den Drem bisher nur selten gesehen und auch nicht erwartet hatte: Dakren, der Bruder seines Vaters. Ein sehr alter Mann mit grauem Haar und grauen Augen.
    Der Säugling gurgelte glücklich. Drem lächelte ihn an. Seine Mutter lächelte zurück, aber ihre Stirn zeigte tiefe Sorgenfalten.
    Vonus sagte: »Wie geht es dir, Drem?« Er sprach mit der leisen Stimme, die man für Traumatisierte reservierte, so als ob Schallwellen diese zerbrechen könnten.
    »Mir ging es schon besser, danke«, sagte Drem. »Und dir?«
    Vonus nahm sich Zeit, um sich seine Antwort
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