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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Liebe geschworen hatte; sie liebte es, an schönen Tagen hier das Frühstück einzunehmen. Das arme Mädchen erfreute sich an diesem heitern Morgen daran, in ihrer Erinnerung die großen und kleinen Ereignisse ihrer Liebe durchzugehen und die Katastrophen, die ihr gefolgt waren. Die Sonne schien hell auf die lieblich begrünte verwitterte Mauer, die nun schon fast eine Ruine war, die auszubessern aber die phantastische Erbin untersagt hatte, obgleich Cornoiller oft genug seiner Frau klagte, eines Tages werde die zusammenstürzende Mauer jemanden erschlagen.
    Es wurde ans Haustor geklopft. Der Briefträger übergab Madame Cornoiller einen Brief; sie lief damit in den Garten und rief: »Mademoiselle, ein Brief!« Sie übergab ihn ihrer Herrin mit den Worten: »Ist es der, den Sie erwarten?«
    Diese Worte gaben im Herzen Eugénies so lauten Widerhall, daß es ihr schien, als dröhnten sie in gewaltigem Echo vom Hof zum Garten.
    »Paris!... Er ist von ihm! Er ist zurückgekehrt!«
    Eugénie erbleichte und wagte nicht, den Brief zu öffnen. Sie bebte so sehr, daß sie unfähig war zu lesen. Die Große Nanon stemmte die Arme in die Hüften und blickte die Herrin strahlend an. Aus den Falten und Runzeln ihres braunen Gesichts glühte die Freude. »Lesen Sie, Mademoiselle!«
    »Ach, Nanon! Weshalb kehrt er über Paris zurück, da er über Saumur davonging?«
    »Lesen Sie, so werden Sie es erfahren.«
    Eugénie öffnete zitternd das Schreiben. Es fiel eine Anweisung auf das Haus ›Madame des Grassins und Corret, Saumur‹ heraus. Nanon hob sie auf.
    ›Meine liebe Cousine ...‹
    ›Ich bin nicht mehr Eugénie‹, dachte sie, und ihr Herz krampfte sich zusammen.
    ›Sie...‹
    ›Er nannte mich du!‹ Sie kreuzte die Arme über die Brust und wagte nicht weiterzulesen. Große Tränen traten ihr in die Augen.
    »Ist er tot?« fragte Nanon.
    »Dann hätte er nicht schreiben können«, sagte Eugénie. Sie las den ganzen Brief; hier folgt er:
    ›Meine liebe Cousine!
    Sie werden, wie ich glaube, mit Vergnügen vernehmen, daß meine Unternehmungen Erfolg hatten. Sie haben mir Glück gebracht; ich bin als reicher Mann zurückgekehrt und habe den Rat meines Onkels befolgt, dessen Tod sowie der Tod meiner Tante mir durch Monsieur des Grassins soeben mitgeteilt worden ist.
    Der Tod unserer Verwandten ist Naturgesetz, und wir müssen ihnen alle einmal folgen. Ich hoffe, daß Sie heute über das Unglück, das Sie betroffen hat, getröstet sind. Nichts widersteht dem Strom der Zeit – ich erfahre es an mir. Ja, meine liebe Cousine, die Zeit der Illusionen ist vorüber, bekümmert fühle ich das. Doch was wollen Sie! Bei meinen Reisen durch ferne Länder habe ich das Leben kennengelernt und darüber nachgedacht. Heute habe ich gar viele Dinge im Kopf, an die ich früher nicht im entferntesten gedacht habe. Sie sind frei, verehrte Cousine, und auch ich bin frei. Dem Anschein nach steht der Verwirklichung unserer einstigen Pläne nichts im Wege, aber ich habe einen zu aufrichtigen Charakter, um Ihnen den Stand meiner Angelegenheiten zu verbergen. Ich habe nicht vergessen, daß ich nicht mehr mir selbst gehörte; auf meinen langen Fahrten habe ich mich stets der kleinen Holzbank erinnert...‹

 
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    Eugénie sprang auf, als säße sie auf glühenden Kohlen, und setzte sich auf eine der Steinstufen, die zum Hof hinunterführten.
    ›... der kleinen Holzbank erinnert, auf der wir einander ewige Liebe geschworen haben; ich erinnerte mich oft des grauen Saales, des dunklen Hausflurs, meines Mansardenstübchens und der Nacht, da Sie mir voll zartfühlender Güte meine Zukunftspläne leichter gestalteten. Ja, diese Erinnerungen haben meinen Mut gestählt, und ich habe mir gesagt, daß Sie immer an mich denken, wie ich zur vereinbarten Stunde häufig Ihrer gedachte. Haben Sie oft und innig um neun Uhr in den Himmel, die Wolken geblickt? Ja, nicht wahr?
     
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    Ich will eine mir so heilige Freundschaft nicht betrügen; nein, ich darf Sie nicht täuschen. Es handelt sich augenblicklich für mich um eine Verbindung, die allen Hoffnungen und Ansprüchen genügt, die ich bezüglich einer Ehe hege. Die Liebe in der Ehe ist eine Schimäre. Heute weiß ich aus Erfahrung, daß man den sozialen Gesetzen gehorchen muß und bei einer Heirat den Forderungen der Welt, der Konvention zu folgen hat.
    Nun ist zwischen uns beiden ein Altersunterschied, der wohl, meine liebe Cousine, für Sie verhängnisvoller werden könnte als für mich. Und dann
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