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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Autoren: Wolfgang Huber
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sondern sie muss sich, soll sie moralisch rechtfertigungsfähig sein, in den Grenzen des Richtigen halten.
    Das Ethische (im engeren, von Habermas und Dworkin vorgeschlagenen Sinn) hat eine individuelle und eine kollektive Seite, denn die Frage nach dem guten Leben wird nicht nur von Einzelnen, sondern auch gemeinschaftlich gestellt. Sie ist nicht nur existentiell, sondern auch politisch.
    Diese Art von Fragen wurde – insbesondere aufgrund eines klaren Einspruchs des Philosophen Immanuel Kant – über lange Zeit aus der Ethik ausgeschlossen; der Einwand hieß, es könne auf sie keine für alle gültigen Antworten geben. Doch Kant skizzierte bereits einen Lösungsweg, weigerte sich jedoch, ihn selbst zu beschreiten. Dieser Lösungsweg besteht darin, zwischen «Geboten»
(praecepta)
und «Anratungen»
(consilia)
der Vernunft zu unterscheiden (Kant 1785/1786: BA 47f.). Dieser Weg wird heute so aufgenommen, dass zwischen normativen und evaluativen Aussagen in der Ethik unterschieden wird.
    Die Differenzierung zwischen einem «moralischen» und einem «ethischen» Gebrauch der praktischen Vernunft leuchtet grundsätzlich ein, doch sie hat sich nicht durchgesetzt. Der umgangssprachliche Gebrauch von «Moral» und «Ethik» ist weiterhin vielfältig; in diesem wie in anderen Fällen gelingt es der Wissenschaft nicht, einen strikten Wortgebrauch allgemein verbindlich zu machen. In diesem Buch wird in aller Regel das Moralische mit dem Richtigen und das Ethische mit dem Guten gleichgesetzt. Ethik als Reflexion auf menschliches Handeln aber wird als Oberbegriff verwendet; denn die ethische Reflexion umfasst sowohl moralisch-normative als auch ethisch-evaluative Fragen.
    Faktisch konzentriert sich die philosophische Ethik heute weitgehend auf moralisch-normative Fragen. In den Grenzen des «nachmetaphysischen Denkens», so erklärt Jürgen Habermas programmatisch, beschränkt sie sich «auf den Universalismus von Recht und Moral» und verzichtet «auf die Auszeichnung
eigener
Konzeptionen des Guten» (Habermas 2012: 205). Für das theologische Nachdenken dagegen sind Konzeptionen des Guten von grundlegender Bedeutung; das ergibt sich insbesondere aus den biblischen Schilderungen von Lebensformen,die durch den Geist der Liebe geprägt sind. Die Geschichte des christlichen Glaubens enthält beeindruckende Beispiele dafür, dass der Geist der Liebe sogar die Vorordnung des Richtigen vor das Gute in Frage stellt. Wenn das Mitleid mit den Leidenden zu eigenem Opfer führt oder die Missachtung elementarer Menschenrechte einen Widerstand auslöst, der mit dem bewussten Einsatz des eigenen Lebens verbunden ist, gerät um der Gerechtigkeit willen die Vorordnung des Richtigen vor das Gute ins Wanken.
    Solche Beispiele ermutigen dazu, nicht nur danach zu fragen, was wir anderen schulden, sondern uns über das Geschuldete hinaus für das einzusetzen, was uns wichtig ist. Sie stärken Haltungen, die auch angesichts von Schwierigkeiten an dem moralisch als richtig Erkannten festhalten; sie unterstützen das Willensmoment der Moral (Habermas 2012: 131f.). Sie prägen ein «ethisches Klima» (Blackburn 2009: 9ff.), das der Anerkennung des Anderen und der Achtung vor dessen Rechten förderlich ist; sie schaffen eine Atmosphäre der Empathie, die dem schwachen und verletzlichen Nächsten besondere Aufmerksamkeit schenkt – aus der Erkenntnis heraus, dass Schwäche und Verletzlichkeit zu jedem menschlichen Leben gehören.
    Der Geist der Liebe geht über den Universalismus von Recht und Moral hinaus. Er beschränkt sich nicht auf das, was wir anderen schulden; er weckt auch ein Bewusstsein für das, was wir anderen ungeschuldet zu Gute kommen lassen können. Gerade so motiviert dieser Geist zugleich zu dem, was für alle gilt und was jeder dem anderen schuldet – nämlich die Achtung als ebenbürtiges Glied der Menschheit. Theologische Ethik ist deshalb nicht nur für die Sphäre des Guten von Bedeutung, sondern auch für die des Richtigen. Die Reflexion menschlichen Verhaltens muss beides umfassen: das moralisch Richtige und das ethisch Gute.
Das Beispiel Sexualethik
    Vernachlässigt man die Unterscheidung zwischen dem moralisch Richtigen und dem ethisch Guten, so kann das gravierende Folgen haben. Ein hoher moralischer Anspruch kann auf diese Weise in unmoralische Konsequenzen umschlagen.
    Die Debatte über die Homosexualität ist ein Beispiel dafür. Häufig haben Menschen, für die heterosexuelle Beziehungen die einzige Form bildeten, in
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