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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Autoren: Wolfgang Huber
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Überzeugungsgemeinschaft.
    Deshalb bringt die theologische Ethik christliche Perspektiven auch im Blick auf das gesellschaftliche Zusammenleben zur Geltung. In der katholischen Tradition entfaltet sich dieser Aspekt in einer stärker gesetzesethischen Form als «Soziallehre». Sie beruft sich häufig auf die Übereinstimmung von Maßstäben, die der Glaube in der Offenbarung wahrnimmt, mit naturrechtlichen Prinzipien, die für die allgemeine Vernunft erkennbar sind. In der evangelischen Tradition nimmt eine solche gesellschaftsbezogene Reflexion den Charakter der «Sozialethik» an; deren Ziel besteht nicht in der Befolgung normativer Vorgaben, sondern in der Befähigung zum eigenen ethischen Urteil unter dem Gesichtspunkt verantworteter Freiheit. Während die katholische Soziallehre am Modell der lehramtlichen Äußerung orientiert ist, liegt der evangelischen Sozialethik das Modell der gemeinsamen Urteilsbildung zu Grunde.
Was ist richtiges, was gutes Handeln?
    Heute werden die Worte Sittlichkeit, Moralität und Ethos nur noch selten verwendet. Sie beziehen sich auf praktizierte und anerkannte Lebensformen von Einzelnen oder Gemeinschaften. Als Moral werden in solchen Zusammenhängen die sittlichen Regeln und Normen bezeichnet, die von Einzelnen, Gruppen oder Gesellschaften anerkannt werden; unter dem Begriff der Ethik wird dann die theoretische Reflexion der sittlichen Regeln und Normen sowie der gelebten Sittlichkeit verstanden (Lienemann 2008: 18). Während die Begriffe der Sittlichkeit, der Moralität und des Ethos in den Hintergrund getreten sind, hat sich das Bedeutungsspektrum von Moral und Ethik ausgeweitet. Diese Worte können umgangssprachlich sowohl die Lebenspraxis und die für sie maßgeblichen Regeln als auch deren Reflexion bezeichnen.
    Häufig werden die Worte Moral und Ethik in solchen Zusammenhängen in austauschbarer Weise verwendet. Von manchen werden sie aber auch den zwei grundlegenden Dimensionen zugeordnet, in denen sich die Frage nach verantwortbarem menschlichen Verhalten stellt: den Dimensionen des
Richtigen
und des
Guten
. Zum einen bezieht sich die Frage nach dem menschlichen Verhalten auf das Zusammenleben mit anderen; gesucht wird nach den moralischen Regeln, die für alle gelten und deren Befolgung um des gemeinsamen Lebens willen notwendig ist. Die Leitfrage besteht darin, was ich den anderen schulde, damit wir in aller Unterschiedlichkeit als Gleiche miteinander leben können; sie wird auch als die Frage nach dem «Richtigen» bezeichnet. Was sich als nicht richtig erweist, bezeichnen wir als «falsch». Zum andern bezieht sich die Frage nach dem menschlichen Verhalten auf die Suche nach einer persönlichen Identität, nach dem Gelingen des eigenen Lebens. Die Leitfrage besteht darin, was ich mir selbst schulde, um mein Leben als ein gutes Leben betrachten zu können; diese Frage wird auch als die Frage nach dem «Guten» bezeichnet. Was sich als nicht gut erweist, bezeichnen wir als «schlecht».
    In der neueren philosophischen Debatte wurde vorgeschlagen, die Begriffe «Moral» und «Ethik» diesen beiden Fragen nach dem Richtigen und dem Guten zuzuordnen. So versteht beispielsweise Jürgen Habermas die Moral als die Reflexion des Richtigen, die Ethik dagegen als die Reflexion des Guten (Habermas 1992: 100ff.). Besonders knapp formuliert Ronald Dworkin: «Moralische Maßstäbe schreiben vor, wie wir andere behandeln sollen; ethische Maßstäbe, wie wir selbst leben sollen:
Moral standards prescribe how we ought to treat others; ethical standards, how we ought to live ourselves
.» (Dworkin 2011: 41f.; vgl. Dworkin 2012: 49f.) Die Reihenfolge dieser beiden Definitionen enthält zugleich eine Rangfolge. Zwar kann man die Verantwortung für das Gelingen des eigenen Lebens als unsere wichtigste Aufgabe ansehen; aber diese Verantwortung können wir nur wahrnehmen, wenn wir zugleich mit der eigenen Würde auch die Würde der anderen achten. Die Maßstäbe dafür, wie wir uns wechselseitig behandeln sollen, haben insofern Vorrang vor den Maßstäben dafür, wie wir selbst leben wollen. Anders gesagt: Die Frage nach dem Richtigen beansprucht den Vorrang vor der Frage nach dem Guten; die Antworten auf die Frage, wie wir selbst leben wollen, müssen sich in dem Rahmen halten, der durch die Standards einesgemeinsamen Lebens gegeben ist. Das Moralische definiert die Bedingungen des Ethischen. Menschliche Selbstbestimmung ist nicht mit einem Anspruch auf unbegrenzte Durchsetzung verbunden,
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