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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition)
Autoren: Péter Esterházy
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über Estis Land herein. Oder war er von vornherein da gewesen? Doch keine Metaphorisierung, kein versteckter Sinn zwischen den Zeilen, sondern es ist kalt, fröstelnd beginnst du zu quengeln, schaust auf das Thermometer, es ist gar nicht so kalt (Celsius), doch du quengelst weiter. Es ist, als kämst du zu spät, vergeblich zerrst du dir nach dem Pullover den Mantel über, es ist zu spät, deine Knochen frieren.
    Der Knochenfrost ist am schlimmsten, brummte Esti vor sich hin und dachte wieder einmal an Gott. Wenn man klären könnte, warum man eigentlich Geschichten erzählen muss – warum eigentlich? –, dann müsste man so langsam Gottes Geschichte erzählen. Der Hund jaulte vor der Tür, auch er hatte den Januar satt, er wollte herein. Nein. Esti hatte schon den Gestank des nassen Fells in der Nase. Hund draußen, Mensch drinnen, gäbe es doch nur eine Ordnung in der Welt. An der man festhalten kann.
    Esti hielt an Gott fest. Während er dessen Geschichte (in dieser säkularisierten westlichen Welt) dennoch darin sah, dass er, Gott, verschwunden war, der gütige und strafende Gott des Christentums war verschwunden; der Schöpfer, Quelle jeder erdenklichen Vollkommenheit, Wegweiser jedes ehrbaren menschlichen Strebens, hatte aufgehört, die Schwelle (der Haufen?) zu sein, über die jeder stolpern muss. Stolpern kann, aber nicht muss.
    Er ist kleiner geworden, dachte Esti, wie sein Freund, der sich immer schiefer hielt, er war nicht nur krumm geworden, sondern auch zur Seite hin schief, so dass er jetzt mindestens einen Kopf kleiner war als Esti, dabei hatten sie vor zehn Jahren noch Mäntel getauscht (gebrauchte, aber von Boss!). Das Problem ist auch nicht, dass Gott kleiner, sondern dass er eine Frage der Entscheidung geworden ist. Eine Möglichkeit. Eine Option. Auf das Persönliche zusammengeschrumpft. Deshalb ist er nicht »tot«, der Gottesglaube ist auch weiterhin der Kiel in der seelischen Balance vieler Menschen. Doch wäre es nur die Parodie der Aufklärung, würde jener Haufen immer kleiner, niedriger. Wäre das Transzendente eliminierbar. Und dann bliebe doch der emanzipierte Mensch, mag sein, allein, aber frei, mit der gewichtigen Erhabenheit der Freiheit.
    Inzwischen hatte jemand den Hund hereingelassen; der hatte sich hereingelassen. Der Hund schnupperte. Esti schnupperte. Doch das für sich selbst verantwortliche Individuum als schon beinahe »heiliger« Grundwert – es ist nicht nur undenkbar, sondern einfach nicht zu verstehen ohne jene biblische Offenbarung, die den Menschen als Ebenbild Gottes ansieht. Die Erfahrung der Welt minus Religion: das ist zu wenig.
    Irgendwie also ist es am Ende noch nicht zu Ende. Oder der Anfang ist nicht da, wo er zu sein scheint. Hinter jedem Strauch ist Gott zu vermuten. Der Hund blickte mit reumütigen Hundeaugen. Ihre Blicke trafen sich, ich möchte, mein Herr, nicht katzbuckeln oder im Erlebnisbecken des Quengelns versinken, doch wir sind allein geblieben, zu zweit, du und ich. Kein wir, es gibt kein wir.
    Nach alldem stellte sich Kornél Esti Gottes Leben vor. Ein Lied. Lied von der Einsamkeit.

Das Messingleben
    J ahrelang hing eine nackte Glühbirne über seinem Kopf. Esti störte das nicht. Dann auf einmal dieses Messinggerät. Eine komplizierte Handarbeit, an feinen Ketten hängt eine Halbkugel, an der unten, eine neue Dimension oder zumindest Etage eröffnend, an noch einer, schwächer aussehenden, gold glänzenden Kette ein kleiner Halbmond angebracht ist, der sich über der Halbkugel wiederholt, direkt an der Aufhängung; rundherum auf der Halbkugel Löwenköpfe, Gesichter, Löwengesichter, aus der Nähe betrachtet allzu menschlich. Falls es Menschen sind, dann lachen, falls Löwen, dann fletschen sie die Zähne.
    Das wäre sein Leben? Das?
    Doch da muss man hinzufügen, dass Estis Eltern klein waren, gewesen waren, gewesen sind (was ist denn jetzt richtig?, gibt es denn in diesem Land keine anständige Vergangenheit?), Esti aber stieß sich manchmal an der Lampe den Kopf, so sah es aus, danach passte er eine Weile auf, dann vergaß er es, dann stieß er sich den Kopf, dann passte er erneut auf, dann eines Tages wieder. So verging die Zeit. Vielleicht noch so viel, dass die untergehende Sonne das Gold lila färbte und diese hoffnungsfrohe Melancholie das ganze Zimmer durchstrahlte, wenn da keine Wolken oder Ähnliches waren, gewesen sind, zum Beispiel viele viele Flugzeuge. Oder eine Vogelwolke. Oder Fledermäuse. Fliegen, sehr sehr viele.
    Appendix:
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