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Eselsmilch

Eselsmilch

Titel: Eselsmilch
Autoren: J Mehler
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Zum anderen
wurden diese unkonventionellen Vornamen besonders in Niederbayern ausnahmslos
verhunzt. Leni hatte in ihrer Klasse eine Tschaklinn gehabt, Vera eine Nikohl.
    »Weiß das der Max schon, dass
seine Aushilfsbedienung tot in der Telefonschneise liegt?«, hörte Fanni eine
Stimme fragen.
    »Wird es früh genug erfahren«,
antwortete eine andere.
    »Wo kommt das Mädel denn her?«,
meldete sich eine dritte. »Die Familie muss doch …«
    »Die Annabel wohnt in Zwiesel«,
verkündete Rudi, »am Finkenschlag. Ihr Vater ist Fahrkartenverkäufer bei der
Bahn.«
    »Die Annabel geht auf die
Glasfachschule«, fügte Sepp hinzu und verbesserte sich dann leise: »Ist auf die
Glasfachschule gegangen.«
    »Hat nicht vorhin einer gesagt,
das Mädel bedient in der Schutzhütte?«, warf eine der Stimmen ein.
    »Bloß am Wochenende«, beeilte
sich Rudi Auskunft zu erteilen. »Da hilft sie unserer Heide.«
    »Die kommt eh gerade«, rief Sepp
und deutete zum Aufstiegspfad.
    Alle Köpfe – Fannis inbegriffen
– drehten sich in die gewiesene Richtung.
    Heide hielt ihren knöchellangen
Dirndlrock mit einer Hand gerafft, um nicht auf den Saum zu treten. Ihre Bluse
leuchtete sunilweiß. Aus den mit einer Spange zusammengehaltenen platinblonden
Haaren fielen ein paar Korkenzieherlocken in das großzügige Dekolleté, das wie
eine Geburtstagstorte von weißen Spitzen umrahmt war.
    Die böse Stiefmutter-Königin?
    Nein, dachte Fanni. So
aufgeputzt sie auch hier erscheint, Heide strahlt Wärme aus, Freundlichkeit,
Wohlwollen. Ihr Outfit ist wohl eher ein Zugeständnis an die Gäste der
Falkensteinhütte. Welcher Wanderer bestellt nicht gern ein zweites Bier, wenn
er Heide damit an seinen Tisch locken kann?
    Als Heide an die Planke trat,
bemerkte Fanni, wie schwer sie atmete.
    »Einer von den
Grünzeug-Gendarmen hat beim Max angerufen«, hechelte Heide. »Er hat behauptet,
dass die Anna …« Sie brach mitten im Satz ab.
    Sepp wies mit dem Daumen über
seine Schulter.
    Heide blickte zu dem Felsblock,
wo Sprudel neben Annabel Wache hielt. Der Ranger telefonierte noch immer.
    Fanni fragte sich, wen er wohl
jetzt von dem Unglück verständigte. Max den Hüttenwirt hatte er offensichtlich
schon informiert.
    Heide bekreuzigte sich.
    »Ja«, nickte Sepp, »tot ist sie.
Kannst es ihm ausrichten, dem Max. Oder kommt er selber noch heraufgehumpelt
auf seinen Krücken?«
    Heide schüttelte den Kopf. »Er
schafft doch kaum die Strecke zwischen Tresen und Stammtisch.«
    Inzwischen bewegte sich eine
Menschenkarawane von der Hütte zum Gipfelplateau.
    Fanni starrte die Leute an.
    Woher wissen sie es?, fragte sie
sich, und im selben Augenblick fiel ihr die Antwort ein: Max der Hüttenwirt
sprengt die Nachricht wie ein Marktschreier aus.
    Immer mehr Gaffer drängten heran
– sie konnten unmöglich zuvor alle in der Hütte gesessen haben. Die in der
ersten Reihe wurden ans Geländer gedrückt.
    Fanni zog sich unter eine Fichte
am Ende der Planke zurück.
    Der Nationalparkranger
unterbrach sein Telefongespräch, rief: »Zurücktreten!« und fuchtelte mit den
Armen, als wollte er Fliegen verscheuchen.
    Die Gaffer drängelten weiter.
    Sprudel verließ seinen Posten
bei Annabel, trat an die Planke und wandte sich an die Bergwachtmänner. »Wir
sollten die Neugierigen fernhalten. Es könnten wichtige Spuren verwischt
werden.«
    »Ah was«, entgegnete Rudi, »bist
du ein Kriminaler, weil du dich so gut auskennst?«
    »Ein ehemaliger«, antwortete
Sprudel knapp. »Aber muss man denn ein Kriminalbeamter sein, um zu wissen, wie
wichtig Spuren am Tatort sind?«
    »Tatort«, plusterte sich Rudi
auf. »Vom Stein ist sie runtergefallen, die Annabel, und hat sich das Genick
gebrochen dabei. Da muss ich kein Kriminalbeamter sein, damit ich das weiß.«
    »Komm, Rudi«, mischte sich Sepp
ein, »wir halten die Leute lieber auf Abstand. Das kann doch nicht schaden,
wenn sich die Kripo ein unverfälschtes Bild von der Sache machen kann.«
    Unverfälschtes Bild, dachte
Fanni, diesen Ausdruck hätte ich dem Kerl da, der jeden duzt, gar nicht
zugetraut.
    Sie setzte sich auf die
Holzbank, die genau dort, wo das Geländer an einem Felswändchen endete, unter
der Fichte stand.
    Die Schaulustigen hatten sich
inzwischen ein Stück von der Planke entfernt und umringten nun die
Bergwachtmänner.
    Fanni vernahm Rudis Stimme:
»Zwanzig ist die Annabel, grade mal zwanzig.«
    »Gar nicht wahr«, widersprach
Bergwacht-Sepp. »Zweiundzwanzig ist sie. Das weiß ich, weil sie mit
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