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Eselsmilch

Eselsmilch

Titel: Eselsmilch
Autoren: J Mehler
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nicht
sofort.
    Zunächst
hatten sie das Hotel verlassen und sich den gepflasterten Platz davor
angesehen, der mit Tischen und Stühlen aus schwarzem Flechtwerkimitat bestückt
war und beinahe die ganze Fläche zwischen Straßenrand und Haupteingang des
Cafés einnahm. Vor der verglasten Front flatterte eine ausgeblichene Markise,
die draußen sitzende Gäste vor den Sonnenstrahlen schützen sollte.
    Fanni
hatte sich prüfend umgeschaut und war zu dem Schluss gekommen, dass sie sich
selbst dann lieber drinnen aufhalten würde, wenn es hier draußen nicht so kühl
und windig wäre. Denn ringsum ragten ausschließlich Betonbauten mit nackten,
abweisenden Fassaden empor, deren Hässlichkeit die drei (bestimmt gut gemeinten)
Pflanzkübel am Eingang mit ihrem jämmerlichen staubigen Bewuchs nichts
entgegenzusetzen hatten.
    Nur
ein Einziger der eckigen, recht unbequem wirkenden Sessel unter der Markise war
belegt gewesen. Ein junger Mann in Regenjacke, Baseballkappe und verspiegelter
Sonnenbrille kämpfte etwas abseits mit der auf der Glasplatte seines Tisches
ausgebreiteten Gazette du Maroc.
    Ja,
es war sehr frisch und windig gewesen am Vormittag. Im Atlasgebirge, hieß es,
tobte ein vorwinterlicher Sturm, und der blies seinen kalten Atem bis nach
Marrakesch.
    Fanni
hatte Sprudel vorschlagen wollen, die Mohammed V ein Stück hinauf- oder
hinunterzugehen. Aber dann war ihr keine der beiden Richtungen verlockend
erschienen. Stadteinwärts schreckten die tristen Schaufenster der »Pharmacie
Ardel Krim el Khatabi« und der verlassen wirkenden Agentur »Sahara Tours« vom
Vorbeischlendern ab; stadtauswärts glotzten ihnen mehrstöckige roséfarbene
Wohnblöcke entgegen, mit Fenstern wie Augen und Klimaanlagen, die aussahen wie
die Lautsprecher altertümlicher Radiogeräte. Zudem wirbelte der Wind den
allgegenwärtigen Staub auf, der keine Skrupel hatte, in Augen, Nase und Mund zu
dringen.
    Fanni
hatte einen letzten missbilligenden Blick auf die andere Straßenseite geworfen,
wo FedEx neben der DHL -Filiale dahinvegetierte, und war dann entschlossen auf
den Eingang des Hotelcafés zugeschritten.
    Am
Panoramafenster war noch ein kleiner runder Tisch mit einem einzigen Stuhl frei
gewesen.
    Fanni
hatte jedoch abgewunken, als Bernd sich anbot, einen zweiten zu besorgen. »Lass
nur.« Das Du ging ihr noch immer schwer über die Lippen, aber bei Reisegruppen,
die Berggipfel und Zeltnächte auf dem Programm haben, war es vom ersten Tag an
obligatorisch. »Bemüh dich nicht, ihr sitzt hier sowieso schon eng genug.«
    Ach,
gib es doch zu, Fanni, du hattest wieder mal keine Lust auf Small Talk! Und glaub
bloß nicht, den andern entgeht das. Heute beim Frühstück haben sich nicht mal
Martha und Gisela zu euch an den Tisch gesetzt.
    Was
nicht an mir lag, verteidigte sich Fanni gegen ihre lästige Gedankenstimme,
sondern an Gisela. Seit unserer Ankunft steckt sie mit diesem
Schwachstellenanalytiker zusammen. Und heute Morgen hockte er ganz allein an
dem Ecktisch neben den Fruchtsäften, als würde er auf sie warten.
    Sprudel
riss sie aus ihren Gedanken. »Durch das Panoramafenster hat man zwar eine gute
Aussicht auf die Mohammed V, aber das heißt nicht, dass Martha im
Blickfeld unserer Reisegefährten gewesen sein muss, als das Unglück geschah.«
    »Offenbar
war sie in diesem Augenblick in niemandes Blickfeld«, erwiderte Fanni. »Am
wenigsten in dem des unglückseligen Busfahrers.«
    Sprudel
ließ die misshandelten Daunen los, und seine Hand kroch wieder in Fannis Nähe.
»Die marokkanische Polizei erklärt es sich so, dass Martha zwischen zwei am
Straßenrand geparkten Autos hervorgetreten ist, stolperte und direkt vor die
Räder des Überlandbusses stürzte.«
    Fanni
spielte gedankenverloren mit dem schmalen Goldring an ihrem Finger, der mit
winzigen Rubinen verziert war. Sprudel hatte ihn ihr an jenem sentimentalen
Abend vor gut einem Jahr geschenkt, der ihrer ersten Nacht im gemeinsamen
Schlafzimmer vorausgegangen war. Seither trug Fanni diesen Ring, den sie mochte,
weil er edel und geschmackvoll und dennoch unauffällig war. Inzwischen war er
ein Teil von ihr geworden, und sie wusste, wie sehr Sprudel das freute.
    Dieses
vergangene Jahr war so friedlich verlaufen. Fanni und Sprudel hatten ihr
Zusammensein in vollen Zügen genossen. Sie hatten ein paar Reisen gemacht, die
meiste Zeit jedoch in Sprudels Haus an der Küste Liguriens verbracht, wo sie im
Frühsommer für eine Woche lang Besuch von Fannis Tochter Leni und ihrem
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