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Eselsmilch

Eselsmilch

Titel: Eselsmilch
Autoren: J Mehler
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Reisegefährten
zu horchen in der Hoffnung, dass es etwas Aufschlussreiches zu erlauschen gäbe.
    Zum
Glück tat sie es nicht, denn die Gesprächsfetzen, die bis auf den Flur drangen,
hätten sie in ziemliche Verwirrung gestürzt.
    Aus
dem Zimmer des Ehepaars Brügge war Wiebke Brügges Stimme zu hören: »Das ist sie
also, deine legendäre Fanni.« Ottos Antwort kam wie eine Gewehrsalve: »Ja, und
zwar noch genauso hochnäsig und unterkühlt wie vor vierzig Jahren. Und wieder
hat sie einen Idioten gefunden, der um sie herumscharwenzelt, anstatt ihr den
Hals umzudrehen.«
    Aus
dem Zimmer des Ehepaars Horn drang Antje Horns Stimme wie ein Seufzen: »Jetzt
hat es sich doch noch erfüllt.« Dieters Antwort klang gepresst: »Ich habe das
aber wirklich nicht mehr gewollt.«
    Aus
Bernd Freises Zimmer konnte man rufen hören: »Was für ein Fiasko, wie konnte
das bloß passieren!« Und nach einer längeren Pause seine völlig veränderte
Stimme: »Du solltest jetzt nicht allein sein. Lass mich dich abholen.«
    Aus
dem Zimmer des Ehepaars Seeger kam etwas wie ein Wimmern, und man hätte nicht
sagen können, ob es zu Dora oder Hubert gehörte. »Wann gibst du den
vermaledeiten Plan endlich auf? Wann?«
    Aus
Olgas und Giselas Zimmer waren Schluchzer zu vernehmen, nur aus dem von Melanie
drang kein Laut. Sie befand sich bereits nicht mehr im Hotel.

2
    Gegen
vier Uhr am Nachmittag hatte Elke Knorr auf dem Telefonanschluss im Zimmer angerufen
und Fanni und Sprudel wie alle anderen aus der Reisegruppe gebeten, sich um
neunzehn Uhr im Hotelrestaurant einzufinden, um dort gemeinsam zu Abend zu essen
und dann zu entscheiden, ob die Reise nach diesem schrecklichen Unfall
fortgesetzt werden sollte oder nicht.
    »Was
meinst du dazu?«, fragte Sprudel.
    Er
und Fanni hatten geduscht und waren nun dabei, sich fürs Abendessen
zurechtzumachen, nachdem sie den ganzen Nachmittag auf dem Zimmer zugebracht
hatten. Die Stadtrundfahrt war selbstverständlich abgesagt worden. Man hatte,
als die Polizei wieder abzog, noch eine Zeit lang in kleinen Grüppchen herumgestanden,
hatte leise diskutiert und zwischendurch betreten zu Boden gestarrt. Antje Horn
war in Tränen aufgelöst gewesen.
    Dabei
könnte ich schwören, dachte Fanni, dass die Frau in den zwei Tagen, die unsere
Reisegruppe jetzt zusammen unterwegs ist, keine zwei Sätze mit Martha
gesprochen hat. Dass sie Martha auf einem Foto nicht einmal wiedererkennen
würde. Weshalb also hat sie so geheult?
    Weil
Antje Horn im Gegensatz zu der Soziopathin Fanni Rot eine sensible, mitfühlende
Person ist, die sich vom Tod eines Menschen betroffen fühlt, egal, ob sie ihn
kannte oder nicht!
    Dummschwätzer.
    »Was
hast du gesagt, Fanni?«
    Sie
wandte sich Sprudel zu. »Das wäre ja fatal, wenn sich die Gruppe dafür
entscheiden würde, die Reise abzubrechen. Dann würden wir nie erfahren, wie
sich alles abgespielt hat.«
    »Ich
denke«, sagte Sprudel, aber es hörte sich eher so an, als fürchte er es, »du
musst dir keine Sorgen machen, dass es so kommen könnte. Martha war für alle
eine gänzlich Unbekannte. Außer für uns beide natürlich«, fügte er gewissenhaft
hinzu, »für ihre Schwägerin Gisela – und für Olga, obwohl ich annehme,
dass Martha und sie vor der Reise noch nie persönlichen Kontakt hatten. Wie
auch immer, dem Rest der Gruppe wird es vermutlich ziemlich gleichgültig sein,
ob dieser Überlandbus den Briefträger überfahren hat oder Martha. Man wird den
Schock schnell verwinden. Einige aus der Gruppe haben ja schon heute Nachmittag
damit begonnen, das Ereignis hinter anderen Eindrücken verblassen zu lassen.«
    »Wie
meinst du das?«, fragte Fanni.
    Sprudel
knöpfte sein Hemd zu. »Irgendwann nachdem wir uns hingelegt hatten, bist du für
ein Weilchen eingenickt, Fanni. Eine Schutzreaktion deines Körpers auf den
Schock hin, nehme ich an. Ich wollte dich nicht wecken – die Matratze
schaukelt ja jedes Mal wie eine Seeboje, wenn man sich bewegt –, deshalb
bin ich aufgestanden und habe mich ans Fenster gesetzt.«
    Fanni
ließ die Haarbürste sinken und schaute ihn irritiert an.
    Erklärend
fuhr er fort: »Du glaubst gar nicht, wen es zwischen zwölf und ein Uhr mittags
auf der Mohammed V alles zu sehen gab. Als Erstes erschien Melanie, das
ist die Hagere, Verhärmte, die allein reist. Weiß du, wen ich meine?«
    Fanni
nickte. Sie hatte sich nach der Vorstellungsrunde nicht nur alle Namen gemerkt,
sondern auch die Gesichter dazu. Und sie hatte eine erste grobe
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