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Eselsmilch

Eselsmilch

Titel: Eselsmilch
Autoren: J Mehler
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hinnahm, seit sie es auf ihrer ersten Reise mit Sprudel bei
einem Straßenhändler in La Paz gekauft hatte. Der Indio hatte Stein und Bein
geschworen, seine Tücher seien aus bestem Kaschmir gewebt, und geschäftstüchtig
hatte er leuchtend rote, blaue und grüne und eines in Naturfarbe im
Straßenstaub ausgebreitet. Fanni hatte hinsichtlich des Materials so ihre
Zweifel gehabt, aber der Stoff hatte sich gut angefühlt – weich und leicht
und flauschig –, deshalb hatte sie sich das Naturfarbene um die Schultern
drapieren lassen und angefangen, darum zu feilschen. Doch Sprudel hatte es
gegen ein rotes ausgetauscht und es für sie gekauft. Seither ging Fanni selten
ohne dieses Tuch aus dem Haus.
    »Es
ist einfach universell«, pflegte sie zu Sprudel zu sagen. »Es wärmt, schützt
gegen Regen, aber auch gegen zu starke Sonne. Ich kann es als Umhang tragen,
als Kopfbedeckung, sogar als Wickelrock. Und wie du weißt«, fügte sie gern
augenzwinkernd hinzu, »eignet es sich hervorragend als Unterlage bei einem
Schäferstündchen auf der Wiese.«
    Fanni
wollte also nach dem Tuch greifen und griff ins Leere. Sie sah sich forschend
um. »Wo hab ich es denn? Ich hänge es doch immer über die Stuhllehne. Hast du
das Kaschmirtuch weggetan, Sprudel?«
    Er
schüttelte den Kopf, sah sich ebenfalls um. Nach einer Weile sagte er: »Ich
glaube, es hing den ganzen Nachmittag nicht da.«
    »Aber
wo soll es denn dann sein?«, fragte Fanni.
    »Du
musst es im Hotelcafé vergessen haben«, sagte Sprudel, »heute Morgen, als …«
Seine Stimme versandete.
    Aber
die Bilder des Morgens standen mit einem schmerzenden Lichtblitz wieder vor
Fannis Augen.
    Sie
sah sich mit Sprudel in einer Nische im hinteren Teil des Cafés sitzen.
    Die
Finger seiner Rechten und ihrer Linken waren ineinander verflochten. Mit der
freien Hand hob Sprudel das winzige Glas an den Mund, in dem eine gräulich
braune Flüssigkeit mit weißer Schaumkrone schwappte.
    »Dieses
NusNus hat mit Latte macchiato so viel zu tun wie eine Kaffeebohne mit einer
Zichorienwurzel«, sagte er.
    Fanni
lachte. »Wir sollten uns einen halben Liter heiße Milch bestellen und diesen
marokkanischen Milchkaffee damit aufpeppen.«
    »Gute
Idee«, sagte Sprudel und winkte dem Kellner. Doch der beachtete ihn nicht,
sondern eilte zielstrebig in den vorderen Teil des Cafés und geradewegs auf das
Panoramafenster zu.
    Fanni
bog den Oberkörper etwas nach rechts, sodass sie an der Säule, die ihnen die
Sicht verdeckte, vorbeischauen konnte.
    Erstaunt
nahm sie wahr, dass der Kellner Maulaffen feilhaltend am Fenster stehen
geblieben war, wo offensichtlich einige Aufregung herrschte.
    Plötzlich
scharrten Stuhlbeine über den gefliesten Boden, Stoff raschelte, Füße
trampelten. Einen Moment später waren sämtliche Plätze am Fenster leer.
    Die
Reisegruppe war ins Freie gestürmt.
    »Sie
sind alle hinausgelaufen«, sagte Fanni. »Unser Ersatzbus für die
Stadtbesichtigung muss gerade angekommen sein.«
    »So
schnell«, wunderte sich Sprudel. »Haben alle ihre Getränke denn schon im Voraus
bezahlt?« Eilig nahm er zwei Zwanzig-Dirham-Scheine aus dem Bündel, das er in
der Hosentasche stecken hatte, und klemmte sie unter sein noch fast volles
Glas.
    Sie
hasteten aus dem Café, und Fanni vernahm das Schrillen einer Polizeisirene. Es
wurde lauter und lauter, bis es auf einmal abbrach. Vor dem Eingang blieben sie
in einer Menschenmenge stecken. Inmitten schreiender und gestikulierender
Marokkaner erspähte Fanni ihr Reisegrüppchen und bedeutete Sprudel, dass sie
versuchen sollten, sich dorthin vorzuarbeiten.
    Es
dauerte einige Zeit, während der sich mehr und mehr Menschen ansammelten, bis
sie sich der Gruppe auf Rufweite genähert hatten.
    Hubert
entdeckte sie als Erster. »Da ist jemand überfahren worden. Direkt vor unserem
Hotel. Wir haben noch die Bremsen quietschen hören. Dann gab’s einen dumpfen
Schlag, und gleich darauf ging das Geschrei los. Als wir rauskamen, waren die
ganzen Beraber schon da und haben die Sicht verstellt. Elke hat gleich angefangen,
sich durchzudrängeln. Man muss ja schließlich wissen …«
    Den
Rest konnte Fanni nicht mehr verstehen, denn sie und Sprudel waren wieder ein
Stück von Hubert abgedrängt worden, wurden gestoßen und geknufft. Der Lärm war
ohrenbetäubend.
    »Wir
sollten zusehen, dass wir aus diesem Hexenkessel hier rauskommen!«, schrie
Sprudel in Fannis Ohr. »Halt dich an mir fest.«
    Es
schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis sie die
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