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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman
Autoren: Stephen King
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schnell, aber das Wasser floss noch schneller, und sein Boot gewann einen Vorsprung. Er hörte, wie das Plätschern des Wassers in ein leichtes Brausen überging, und plötzlich sah er, dass das Wasser im Rinnstein, das jetzt zu einem schmalen Sturzbach geworden war, auf dem sein Boot tanzte und vorwärtsschnellte, etwa fünfzig Meter hügelabwärts einen Strudel bildete und in einen Gully hineinströmte. Gerade verschwand ein ziemlich großer Ast mit nasser schwarzer, glänzender Rinde im Rachen dieses Gullys. Und dorthin trieb auch sein Boot.
    »Scheiße und Schuhcreme!«, schrie er aufgeregt.
    Er rannte noch schneller, und um ein Haar hätte er das Boot eingeholt. Aber dann glitt er aus und fiel hin; er schürfte sich ein Knie auf und schrie kurz vor Schmerz. Aus seiner neuen Perspektive – auf dem Pflaster kniend – sah er, wie sein Boot in einen Strudel geriet, sich zweimal um die eigene Achse drehte und dann im Gully verschwand.
    »Scheiße und Schuhcreme! «, schrie er wieder und schlug mit der Faust aufs Pflaster. Auch das tat weh, und er weinte leise vor sich hin. Wie dumm von ihm, das Boot auf diese Weise zu verlieren!
    Er stand auf, ging zum Gully, kniete sich hin und blickte in das dunkle Loch im Rinnstein hinab. Das Wasser stürzte mit dumpfem Geräusch in jene Dunkelheit hinunter, einem irgendwie unheimlichen Geräusch, das ihn erinnerte an …
    »Hä!«, entfuhr es ihm plötzlich, und er wich wie von einer Tarantel gestochen zurück.
    Da drinnen waren gelbe Augen: Augen wie jene, vor denen er sich im Keller immer gefürchtet, die er in Wirklichkeit aber nie gesehen hatte. Ein Tier, schoss es ihm völlig zusammenhanglos durch den Kopf, das ist alles, irgendein Tier, vielleicht eine Katze, die da unten gefangen ist …
    Er wollte wegrennen – in ein, zwei Sekunden, sobald sein Gehirn den plötzlichen Schock dieser gelben leuchtenden Augen verarbeitet hatte, würde er wegrennen. Er spürte den groben Schotterbelag unter seinen Fingern und die Kälte des Wassers. Er wollte gerade aufstehen und weggehen, als eine Stimme, eine ganz vernünftige und sehr angenehme Stimme, ihn aus dem Gully heraus ansprach.
    »Hallo, Georgie«, sagte diese Stimme.
    George blinzelte und schaute dann wieder hin. Er konnte zuerst nicht so recht glauben, was er sah; es war wie im Märchen oder wie in Filmen, wo Tiere reden und tanzen konnten. Wäre er zehn Jahre älter gewesen, so hätte er es auf keinen Fall geglaubt, aber er war nicht sechzehn; er war erst sechs.
    In dem Abflussrohr war ein Clown. Das Licht da drinnen war alles andere als gut, aber es reichte aus, dass George Denbrough sich sicher sein konnte, was er sah. Es war ein Clown wie im Zirkus oder Fernsehen. Er sah tatsächlich sogar wie eine Kreuzung zwischen Bozo und Clarabell aus, der dadurch redete, dass er seine (oder war es ihre? – George war sich nie sicher, was für ein Geschlecht es war) Hupe samstags morgens in Howdy Doody drückte – Buffalo Bob war der Einzige, der Clarabell verstehen konnte, und darüber musste George sich jedes Mal kaputtlachen. Das Gesicht des Clowns im Abflussschacht war weiß, er hatte komische rote Haarpuschel auf beiden Seiten des kahlen Kopfes und ein breites Clownslächeln über den Mund gemalt. Hätte George zu einem späteren Zeitpunkt gelebt, hätte er ganz bestimmt als Erstes an Ronald McDonald gedacht und nicht an Bozo oder Clarabell.
    In einer Hand hielt er eine Traube bunter Luftballons wie prächtiges reifes Obst.
    In der anderen Hand hatte er Georges Zeitungsboot.
    »Möchtest du dein Boot wiederhaben, Georgie?«, fragte der Clown und lächelte.
    George erwiderte das Lächeln. Er konnte einfach nicht anders; es war unwiderstehlich. »Ja gern«, rief er.
    Der Clown lachte. »›Ja gern‹. Das ist gut! Das ist sehr gut! Und wie wär’s mit einem Ballon?«
    »Na ja … das wär schon toll.« Er streckte die Hand aus, zog sie aber widerwillig wieder zurück. »Ich soll aber von Fremden nichts annehmen«, erklärte er. »Das sagt mein Dad immer.«
    »Sehr vernünftig«, lobte der Clown im Gully lächelnd. Wie konnte ich nur glauben, dass seine Augen gelb sind?, fragte sich George. Sie waren strahlend blau wie Mutters Augen … und Bills. »Wirklich sehr vernünftig. Ich stelle mich also vor: Bob Gray, auch bekannt als Pennywise, der tanzende Clown. Und du bist George Denbrough. So, jetzt kennen wir einander. Ich bin für dich kein Fremder mehr, und du bist für mich kein Fremder mehr. Stimmt’s, oder hab ich
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