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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman
Autoren: Stephen King
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Vergessen solcher Katastrophen und Tragödien beinahe eine Kunstform, wie Bill Denbrough im Verlauf der Ereignisse noch herausfinden sollte.
    George blieb hinter den Sägeböcken am Rande eines tiefen Risses stehen, der sich gut zehn Meter diagonal durch den Teer der Witcham Road bis zur anderen Straßenseite zog, und er lachte laut auf – der Klang der kindlichen ausgelassenen Fröhlichkeit erhellte einen Augenblick lang diesen grauen Nachmittag -, als das Wasser sein Papierboot nach rechts in die Miniatur-Stromschnellen der schmalen Vertiefung riss. Es trieb so schnell auf die andere Seite der Witcham Road zu, dass George rennen musste, um auf gleicher Höhe zu bleiben. Unter seinen Gummistiefeln spritzte Wasser hervor, und ihre Schnallen klapperten fröhlich, während George Denbrough in seinen absonderlichen Tod rannte. Er war in diesem Moment ganz erfüllt von Liebe zu seinem Bruder Bill … von Liebe und leichtem Bedauern, dass Bill nicht bei ihm war und dies hier nicht sehen konnte. Natürlich konnte er ihm alles erzählen, wenn er nach Hause kam, aber er konnte es ihm nicht bildhaft vor Augen führen, so wie Bill das fertigbringen würde, wenn er an seiner Stelle wäre. Bill konnte so etwas ganz fantastisch – deshalb bekam er in seinen Zeugnissen im Lesen und Schreiben auch immer die besten Noten, deshalb waren die Lehrer so begeistert von seinen Aufsätzen. Aber selbst der kleine George wusste, das Erzählen war nicht alles. Bill konnte auch sehen.
    Das Boot schnellte durch die Vertiefung, und obwohl es in Wirklichkeit nur aus der Anzeigenseite der Derry News bestand, stellte George sich vor, es wäre ein Torpedoboot wie die in den Kriegsfilmen, die er manchmal in Samstagsvorstellungen mit Bill sah. Ein Kriegsfilm mit John Wayne, der gegen die Japsen kämpfte. Schmutziges Wasser schäumte um den Bug, während das Boot durch den Riss im Teer trieb, und dann erreichte es den Rinnstein auf der anderen Straßenseite. Einen Augenblick sah es so aus, als ob die neue starke Strömung, die gegen seine rechte Seite prallte, es zum Kentern bringen würde, aber es richtete sich wieder auf und drehte nach links – und erneut rannte George lachend nebenher, während unter seinen Gummistiefeln hervor das Wasser hochspritzte und der heftige Oktoberwind an den fast kahlen Bäumen rüttelte, die durch den furchtbaren Sturm der Vortage ihr buntes Blätterkleid verloren hatten.

2
     
    Im Bett sitzend, die Wangen noch immer vor Hitze gerötet (aber das Fieber sank jetzt wie der Kenduskeag), hatte Bill das Boot gefaltet und dann zu George, der schon danach greifen wollte, gesagt: »U-und jetzt h-h-hol mir das P-P-Paraffin.«
    »Was ist das? Und wo ist es?«
    »Es steht auf dem Regal im Keller«, hatte Bill gesagt. »In einer Schachtel mit der A-Aufschrift G-G-hulf … Gulf. Und bring auch ein Messer und eine Sch-Sch-Schüssel mit. Und St-St-Streichhölzer.«
    George hatte sich gehorsam auf den Weg gemacht, um diese Sachen zu holen. Er hörte seine Mutter Klavier spielen, nicht mehr Für Elise, sondern etwas anderes, das ihm nicht so gut gefiel, weil es sich trocken und hektisch anhörte, während der Regen an diesem verhangenen Vormittag beharrlich gegen die Küchenfenster klopfte – es waren beruhigende Geräusche, wohingegen der Gedanke an den Keller alles andere als beruhigend war. Er ging nicht gern die schmale Kellertreppe hinunter, weil er sich immer vorstellte, dass da unten im Dunkeln etwas lauerte. Natürlich war das dumm und kindisch, das hatten ihm seine Eltern ja schon gesagt, und was noch viel wichtiger war, auch Bill hatte ihm das gesagt, aber dennoch …
    Er öffnete nicht einmal gern die Tür, weil er immer das Gefühl hatte – und das war so furchtbar dumm, dass er es niemandem zu erzählen wagte -, dass in dem Moment, in dem er seine Hand nach dem Lichtschalter ausstreckte, etwas nach ihm greifen würde … irgendeine schreckliche Kralle mit Klauen … und ihn in die Dunkelheit hinabzerren würde, die nach Schmutz, Moder und verschimmeltem Gemüse roch.
    Dumm! Es gab keine haarigen, mordlustigen Krallen. Ab und zu drehte jemand durch und brachte einen Haufen Leute um – manchmal berichtete Chet Huntley über so etwas in den Abendnachrichten -, und natürlich waren da die Kommies. Aber es gab kein unheimliches Monster, das unten im Keller hauste. Trotzdem wurde er die Vorstellung nicht los. In jenen endlos scheinenden Sekunden, wenn er mit der rechten Hand (der linke Arm war dabei immer panisch um den
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