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Es ist niemals vorbei

Es ist niemals vorbei

Titel: Es ist niemals vorbei
Autoren: Kate Pepper
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die Sache ernst war. Wir standen auf, und alles, was ich auf dem Weg nach draußen sah – die glänzende abgerundete Mahagonitheke, das Spiegelbild eines Paars, das sich küsste, das Heftpflaster am Daumen einer manikürten Frauenhand –, drang blitzartig in mein Bewusstsein. Diese Bilder würde ich nie vergessen. Auch nicht den jungen Mann mit blauem Lidstrich und Nasenring, der sich draußen mit einer pummeligen Frau in enganliegendem schwarzem Spitzenkleid unterhielt. Zwischen den einzelnen Bars an der Smith Street war es schon ruhig geworden. Es war Mitternacht, und die Bewohner dieser Gegend schliefen längst. Das, was ich jetzt tun musste – was ich Mac antun musste –, lag mir wie ein Stein im Magen.
    «Wie geht es dir?» Mac legte einen Arm um meine Schultern und zog mich an sich. «Wie war der Unterricht?»
    «Gut.»
    «Warst du zu Hause?»
    Ich nickte. «Mom ist bei Ben. Alles ist in Ordnung.»
    «Schön.»
    Mir wurde schlagartig klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte. «Ich meinte, mit Ben und meiner Mutter ist alles in Ordnung», stammelte ich erschrocken. Mac blieb stehen. Wir waren in unsere Straße eingebogen und verharrten in der stillen Dunkelheit. Ich nahm Mac in die Arme und flüsterte ihm die unheilvolle Nachricht ins Ohr. Es war, als würde er in meinen Armen schmelzen. Er fiel nicht hin, aber mir kam es vor, als würde er zu Boden sinken, wenn ich ihn losließ. Jeder Muskel seines Körpers erschlaffte. Er rührte sich nicht, vielleicht glaubte er, die kleinste Regung müsste ihn zusammenbrechen lassen. Fünf, zehn oder fünfzehn Minuten standen wir wie gelähmt einer in den Armen des anderen da. Für Mac war die Zeit stehengeblieben, das wusste ich. Genau so war es mir ergangen, als ich erfuhr, dass Jackson und Cece tot, ermordet worden waren. Im Bruchteil einer Sekunde wird man in ein Niemandsland geworfen, in eine Zone zwischen den Lebenden und den Toten, in der nichts als der reine Schmerz regiert. Man will dort so schnell wie möglich wieder raus, kann den Weg aber nicht finden.
    Mac machte sich aus meiner Umarmung frei und betastete seine Hosentasche, wie immer, wenn er sich vergewissern wollte, ob dort seine Geldbörse und die Schlüssel steckten. Er weinte nicht, aber seine Augen hatten sich gefährlich gerötet, und sein Gesicht war verzerrt, so als leide er an unerträglichen Schmerzen. Als er sich umwandte und in entgegengesetzter Richtung davonging, folgte ich ihm.
    Wir liefen zu dem Parkplatz, auf dem Mac immer seinen Wagen abstellte, wenn er ausging. Mac schloss das Tor auf. Ich wartete, bis er mit dem grünen Mini Cooper angefahren kam. Der Motor klang zu dieser nachtschlafenden Zeit unnatürlich laut. Mac hatte den Mini schon vor unserer Ehe besessen. Wir hatten ihn behalten, denn selbst für zwei so großgewachsene Menschen wie Mac und mich war er erstaunlich bequem. Ich schloss das Tor, sperrte es ab und kletterte auf den Beifahrersitz.
    «Du hast getrunken», sagte ich.
    «Ja, stimmt.»
    Wir tauschten die Plätze. Inzwischen lagen die Straßen überall wie ausgestorben da, und so blieb es auf dem ganzen Weg nach Westchester. Bis zum Haus seiner Eltern wechselten wir kaum ein Wort. Es lag abseits des Reichenviertels von Bronxville, in dem hauptsächlich Börsenmakler residierten, weil Manhattan von dort aus so bequem zu erreichen war. Die Gegend, in der Macs Elternhaus stand, durchzog die Schnellstraße. Es war eine bescheidene, ordentliche Ecke, in der hauptsächlich Handwerker und Arbeiter wohnten – Menschen wie Macs Eltern eben.
    Hugh und Aileen stammten aus Irland. Mit neunzehn hatten sie in Dublin geheiratet. Ein Jahr später waren sie in die Vereinigten Staaten ausgewandert und hatten den Traum europäischer Immigranten wahr gemacht: Am Anfang hatten sie jahrelang hart gearbeitet und schließlich ein Familiengeschäft gegründet, den Eisenwarenladen, der mit der Zeit florierte. Die beiden hatten die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen und sich im Lauf der Jahre zu glühenden Patrioten entwickelt. Ihr zweistöckiges Haus trug sogar die amerikanischen Nationalfarben: Die Mauern waren weiß verputzt, die Fensterrahmen blau und die Haustür rot gestrichen. Die Farben setzten sich in der Bepflanzung des Vorgartens fort, denn links und rechts der Eingangstür wuchsen blaue Hortensien, und rund um den weißen Lattenzaun wechselten sich Büschel aus rotem und weißem Springkraut ab. Jetzt hatte man um den Zaun gelbes Absperrband gespannt, und auf dem Rasen
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