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Erzählungen von der Eroberung Spaniens (German Edition)

Erzählungen von der Eroberung Spaniens (German Edition)

Titel: Erzählungen von der Eroberung Spaniens (German Edition)
Autoren: Washington Irving
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Mutter,« versetzte der Knabe; »die Dunkelheit gewährt Stille und Schlaf.«
    Sie führte ihn zu Florinda’s Gruft.
    »Fürchtest du die Todten nicht, mein Kind?«
    »Nein, Mutter – die Todten können Niemand etwas zu Leid thun – und was sollte ich von meiner Schwester fürchten?«
    Die Gräfin öffnete die Gruft.
    »Höre, mein Sohn,« sagte sie. »wilde und grausame Leute sind hierher gekommen, um dich zu morden. Bleibe hier bei deiner Schwester und verhalte dich ruhig, wenn dein Leben dir lieb ist.«
    Der Knabe, der muthigen Charakters war, that, wie ihm geheisen worden, und blieb den ganzen Tag und die ganze Nacht und den nächsten Tag bis zur dritten Stunde da.
    Mittler Weile waren die Mauern der Veste untergraben, die Schaaren des Emirs strömten durch eine Bresche ein, und ein großer Theil der Besatzung mußte über die Klinge springen. Die Gräfin wurde gefangen und vor den Emir gebracht. Mit stolzem Benehmen, als wäre sie eine Königin, die sich von ihm huldigen ließe, erschien sie vor ihm; als er aber nach ihrem Sohne fragte, schwankte sie und wurde blaß und erwiederte:
    »Mein Sohn ist bei den Todten!«
    »Gräfin,« sagte der Emir, »man täuscht mich nicht. Sagt mir, wo Ihr den Knaben versteckt habt, oder die Folter wird Euch das Geheimniß entreißen.«
    »Emir,« versetzte die Gräfin, »die größten Qualen mögen mein Loos sein, sowohl hienieden als nach dem Leben, wenn ich nicht die Wahrheit rede. Mein geliebtes Kind liegt bei den Todten begraben.«
    Die Feierlichkeit ihrer Worte machten den Emir irre; aber der abgehagerte Sterndeuter, welcher an seiner Seite stand und die Gräfin unter seinen buschigen Augenbrauen hervor betrachtete, bemerkte Unruhe und Verwirrung auf ihrem Antlitz und Doppelsinn in ihren Reden.
    »Ueberlaßt diesen Gegenstand mir,« flüsterte er Alahor zu, »ich werde das Kind zum Vorschein bringen.«
    Er ließ durch die Krieger die strengste Nachsuchung halten, und die Gräfin mußte überall gegenwärtig sein.
    Als sie in die Kirche kamen, erblaßte ihre Wange, und ihre Lippe zitterte.
    »Hier ist der Knabe versteckt,« sagte der kluge Astrologe.
    Das Durchsuchen der ganzen Kirche erwies sich jedoch gleich vergeblich, und die Krieger waren eben im Begriffe, sich zu entfernen, als Yuza in dem Auge der Gräfin einen schwachen Strahl der Freude entdeckte.
    »Wir lassen unsere Beute hinter uns,« dachte er; »die Gräfin triumphirt in ihrem Herzen.«
    Er rief sich jetzt die Worte ihrer Betheuerung, ihr Kind sei bei den Todten, in das Gedächtniß zurück. Rasch wendete er sich zu den Kriegern und befahl ihnen, die Grüfte zu durchsuchen.
    »Wenn ihr den Knaben nicht findet,« sagte er, »so schleppt die Gebeine der leichtfertigen Cava heraus, damit man sie verbrenne und die Asche in den Wind zerstreue.«
    Die Krieger durchsuchten die Gräber und fanden die Gruft der Florinda theilweise geöffnet. Drin lag der Knabe in dem gesunden Schlummer der Kindheit, und einer der Kriegsmänner nahm ihn sanft in seine Arme und trug ihn zu dem Emir.
    Als die Gräfin sah, daß ihr Kind entdeckt war, stürzte sie Alahor entgegen und warf sich, ihres ganzen Stolzes vergessend, vor ihm auf die Kniee.
    »Gnade! Gnade.« rief sie in herzzerreißenden Tönen; »Gnade für mein Kind – für meinen einzigen Sohn! O Emir! höre auf einer Mutter Bitten, und meine Lippen sollen deine Füße küssen! Wie du gnädig gegen ihn bist, so wird der höchste Vater Gnade gegen dich üben und Segen auf dein Haupt häufen.«
    »Bringt das tolle Weib hinweg,« sagte der Emir, »aber bewacht sie sorgsam!«
    Die Gräfin wurde von den Kriegsleuten, ohne Rücksicht auf ihr Widerstreben und ihr Geschrei, weggeführt und in einen Kerker der Veste gesperrt.
    Das Kind wurde jetzt dem Emir gebracht. Es war durch den Lärm geweckt worden, schaute aber furchtlos auf die grimmigen Gesichter der Kriegsmänner. Wenn das Herz des Emirs für Mitleid empfänglich gewesen wäre, so würde es durch die zarte Jugend und unschuldige Schönheit des Knaben gerührt worden sein; sein Herz war aber wie der härteste Kiesel, und er war auf den Untergang der ganzen Familie des Grafen Julian erpicht.
    Er ließ den Sternkundigen rufen und übergab ihm mit einem geheimen Befehl das Kind. Der abgemagerte Sohn der Wüste nahm den Knaben an der Hand und führte ihn die Wendeltreppe eines Thurmes hinauf. Als sie oben angekommen waren, stellte ihn Yuza auf die Zinnen.
    »Halte dich nicht an mir, mein Kind,« sagte er; »es ist keine Gefahr
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