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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen
Autoren: Arthur Schnitzler
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doch einmal draußen mit ihm zusammentraf, sich nach Tisch auf den Diwan legte, mit halbgeschlossenen Augen Zigaretten drehte und rauchte.
    Emil liebte ihn beinahe, diesen ernsten, gereiften Mann mit dem grauen Kopf- und Barthaar, und ein Gefühl von Hochachtung und Mitleid beschlich ihn, wenn er die hohe Stirne dieses ahnungslosen Betrogenen sah. Und nun dachte er jenes letzten Zusammenseins. Annette und er saßen neben dem kleinen Tischchen, auf dem der schwarze Kaffee stand, und ihre Augen glühten in die seinen, während sie aus der Schale schlürfte. Da fiel dem Gemahl die Zigarette aus der Hand. Er schlief. Annette lächelte und stand auf. Auf den Zehenspitzen eilte sie zur Tür, die in den Garten führte, und winkte Emil. Er folgte ihr langsam, während sie voranlief. Er fand sie zwischen zwei großen Bäumen auf der Hängematte liegen, mit schwellenden Lippen, feuchten Augen, mit verlangendem Atem! Sie küßte ihn und biß ihn in die Wange. Er mußte fast schreien. Doch erinnerte er sich an den Schläfer im Zimmer. Sie schien seine Gedanken zu erraten. »Der wacht nicht auf«, sagte sie, lachte und nahm Emils Kopf in die Hände und hauchte ihren warmen Atem über sein Haar.
    ...Doch wie, das alles geschah ja vor eben drei Tagen, wie kommt es denn, daß ich seitdem nicht draußen war, dachte Emil. Warum hat sie mir nicht geschrieben? Vielleicht finde ich einen Brief, wenn ich nach Hause komme. Einen jener Briefe, auf dem nur zwei Worte stehen: »Heute abend.« Und dann werde ich mich in das Kupee setzen und hinausfahren. Sie wird mir entgegenkommen, und wir werden den Waldweg einschlagen. Sie wird mir vielleicht, wie neulich, den letzten Brief zeigen, den ich ihr geschrieben, den sie am Busen verwahrt, den sie zerknittert, geküßt, ans Herz gepreßt hat ...
    So dachte Emil und sah zugleich, ohne sich dessen recht bewußt zu werden, einen hochgewachsenen Mann in dunkler Kleidung von der anderen Seite der Straße auf das Kaffeehaus zukommen. Geradewegs zu dem Tische, an welchem Emil saß, nahm er den Schritt. Es war Annettens Mann! Schon zwei- oder dreimal des Sommers war er nachmittags ins »Café Impérial« gekommen, hatte eine Zeitung gelesen und war wieder gegangen. Jetzt setzte er sich nach einem höflichen und eiskalten Gruß an Emils Tisch, indem er sagte: »Ich dachte Sie hier zu finden.«
    Emil fühlte eine leichte Beklommenheit, die er hinwegzuscherzen suchte. Er betrachtete lächelnd den schwarzen Anzug des Mannes und bemerkte: »So düster an einem schönen Sommertag?«
    Der Herr achtete nicht auf die Worte und sagte nur kurz: »Ich habe Ihre Briefe gelesen.«
    In Emil stieg eine schauerliche Ahnung auf, er lächelte aber wieder und entgegnete: »Ich habe Ihnen doch nie geschrieben.«
    Im selben Augenblick kam ihm diese Antwort albern und elend vor. Der andere aber, ruhig wie bisher, fuhr fort: »Ihre Briefe an meine Frau.«
    Emil zuckte zusammen. Er wollte etwas reden und nahm die Miene eines Beleidigten an. Zugleich traf ihn aber der Blick des andern, fürchterlich ernst, bannend: Emil brachte nur ein Wort mit gepreßter Stimme hervor: »Wieso ...«
    »Wieso ich sie gelesen habe?« setzte sein Nachbar fort. »Nun, sehr einfach. Ich habe sie geerbt.«
    Emil starrte ihn an.
    Ganz ruhig aber sprach jener weiter: »Annette ist gestern gestorben. Der Arzt sagt, ein Herzschlag, was für uns beide, glaube ich, gleichgültig ist. Als sie zusammensank, löste man ihre Kleider, ihr Mieder, man fand Briefe. Sie begreifen, daß ich einiges Interesse daran fand, meine Erbschaft sogleich anzutreten. Nach zwei Minuten wußte ich, daß Sie Annettens Geliebter waren.«
    Vor Emil versank alles. Der schöne Sommertag, die sonnige Straße – er sah irgendeinen weißen Glanz, der ihm in den Augen wehe tat-, und der Mann im schwarzen Traueranzug saß regungslos mitten in diesem Glänze. Emil sah auch den Flor am Hute des Mannes; und zu seinem eigenen Erstaunen schoß ihm der peinliche Gedanke durch den Kopf, daß er auch sich einen solchen Flor um den Hut schlingen müßte. Sprechen aber konnte er keine Silbe.
    Der andere fuhr fort: »Ich danke Ihnen, mein Herr, daß Sie es überflüssig finden, mir etwas zu erwidern. Sie ersparen uns eine längere Unterhaltung. Ich brauche Ihnen auch weiter nicht die letzten Gründe meines Kommens auseinanderzusetzen.« Er hielt ein und nahm den Hut ab, worauf er sich mit der Hand über Stirn und Augen fuhr.
    »Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung«, brachte Emil tonlos, doch
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