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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen
Autoren: Arthur Schnitzler
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die Göttin ohne Engagement ...
    Da geht sie hin, sagte Albin, den Stempel des Genius auf der Stirn, aber wer weiß es außer den Sehenden? Das Erkennen ist eine schwere Kunst, und die Welt ist blind!
    Blind, blind! – rief ich erschüttert aus.
    Vazierender Gott – phantasierte er fort –, mancher vaziert freilich so lange in tiefen Sphären umher, bis die letzte Spur seines herrlichen Wesens verlorengeht ...
    Ja, sagte ich, und die wallenden Gewänder schleppen im Kote nach.
    Weißt du, wandte er sich jetzt lebhaft an mich, daß auch der Gott der Bibel einmal nichts zu tun hatte?
    Diese Bemerkung setzte mich in Erstaunen.
    Er aber fuhr fort: Jetzt freilich hat er genug zu tun; aber was tat er denn, bevor er die Welt erschuf; vor den gewissen sechs Tagen, an deren letztem er den Vater unseres unglückseligen Geschlechts erschuf?
    Bei diesen Worten nahm er Notizbuch und Bleistift, um dieses Aperçu rasch aufzunotieren. Es wird der Nachwelt erhalten bleiben.
    Ich schaute durch das große Spiegelfenster auf die Straße, und meine Phantasie suchte in jedem harmlosen Bummler den vazierenden Gott zu entdecken. Die Leute sahen aber so gewöhnlich aus ... Vazierend erschien mir wohl der eine oder andere; aber nach dem Stempel der Göttlichkeit spähte ich vergebens.
    Mit einem Male nahm Albin das Wort: Die Genies, denen die letzte Inspiration fehlt, sind es! Verstehe mich wohl! Die letzte Inspiration; denn wie diese käme, so könnten sie das Wunderbare, Vollendete schaffen, das sie zum Himmel emporträgt – als Götter, die ihre Heimat gefunden. Aber die Genies, an denen die Natur sozusagen die letzte Feile vergessen, die sie als Torso mitten auf den Markt der großen Geister warf und die nun mit dem Funken aus einer anderen Welt im Busen unter den Menschen umherwandeln – sie sind es! Das sind die vazierenden Götter!
    Ich nickte beifällig mit dem Kopfe. Der Vergleich paßt im allgemeinen, sagte ich. Aber, setzte ich zögernd hinzu, sind es doch nicht eher diejenigen, welche eigentlich alles vollbringen könnten und denen nicht die letzte Inspiration fehlt, sondern, welche diese Inspiration vorübergehen lassen und mit allen ihren großartigen Plänen gemütlich weiterbummeln, ohne was Rechtes anzufangen, und sich genügen lassen im Bewußtsein ihrer himmlischen Würde? Sie mischen sich unter die Sterblichen und lassen sozusagen die Unsterblichkeit verfallen, auf die sie eine Anweisung in der Tasche tragen.
    Albin hatte mir aufmerksam zugehört und lächelte. Ja, ja, sagte er ganz still vor sich hin; recht, recht ... wir sind es!
    Wir ... Wir sind es?
    Ein Blick von ihm belehrte mich, daß ich nicht im geringsten gemeint sei. Wir? ... Er! –
    Ich schaute Freund Albin an, und er mochte etwas wie Ehrfurcht in meinen Augen lesen.
    Er stand auf, durchmaß mit großen Schritten den Saal des Kaffeehauses, nahm Hut und Rock vom Nagel. Ich verstand ihn.
    Mit diesem Gefühl mischte er sich jetzt unter die Gewöhnlichen, unter die Tausende. Wortlos reichte er mir die Hand und ging dahin – wie ein vazierender Gott.

Arthur Schnitzler
Amerika

Das Schiff landet; ich setze meinen Fuß auf den neuen Weltteil ...
    Der graue Herbstmorgen überschattet Meer und Land; noch schwankt alles unter mir; noch immer fühle ich den unruhigen Gang der Wogen ... Aus dem Nebel erhebt sich die Stadt ... Neben mir, mit offenen Augen, lebendig, hastet die Menge. Nicht das Fremde empfinden sie; nur das Neue. Ich höre, wie der oder jener vor sich hinflüstert: Amerika – als wenn er sich's nur recht einprägen wollte, daß er jetzt wirklich hier sei, so weit! ...
    Ich stehe allein am Ufer. Nicht an das neue Amerika denk' ich, von dem ich das Glück zu fordern habe, das mir die Heimat schuldig geblieben – ich denke an ein anderes.
    Ich sehe jenes kleine Zimmer, so deutlich sehe ich es, als hätt' ich es gestern verlassen, nicht vor so vielen Jahren. Auf dem Tisch die Lampe mit dem grünen Schirm, der gestickte Lehnsessel in der Ecke. Kupferstiche hängen an der Wand; die Bilder verschwimmen im Schatten. Anna ist bei mir. Sie liegt mir zu Füßen, den Lockenkopf an mein Knie gelehnt; ich muß mich niederbeugen, um in ihre Augen zu sehen.
    Wir haben aufgehört zu plaudern; der Abend schreitet weiter, und stille ist's im Gemach. Draußen beginnt es zu regnen, wir hören die Tropfen an die Fensterscheiben schlagen, langsam, schwer. Sie lächelt, und ich beuge mich zu ihrem Munde. Ich küsse ihre Lippen, ihre Stirn, ihre Augen, die sie geschlossen
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