Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen
Autoren: Thomas Bernhard
Vom Netzwerk:
dieser Mensch, der einen schwarzen Überrock mit einem ausgeschlagenen Schafspelz anhatte, daß dieser Mensch, der den Eindruck erweckte, in Eile zu sein und alles von Georg auf einen Haufen zusammenwarf, um es fortzuschaffen, daß dieser Mensch und daß alles, was mit diesem Manne in Zusammenhang stand, an dem Unglück Georgs, an der Katastrophe die Schuld trug.

D ER Z IMMERER
    Einem, im Falle des Zimmerers Winkler, mit der Plötzlichkeit, die erschüttert, aus der Haft Entlassenen, ist, wie ich immer wieder feststellen muß, nicht zu helfen. Winkler, über den die Zeitungen vor fünf Jahren, während der Dauer seines Prozesses, unglaublich viel Ordinäres und Abstoßendes, an den Wochenenden mit Bildern seines Opfers und seiner Person, vom Prozeß und vom Lokalaugenschein geschrieben haben, ist am 25. Oktober in Ischl gewesen. Seine in der Vöklabrucker Gerberei beschäftigte Schwester hat mich am Nachmittag des fünfundzwanzigsten aufgesucht und mich aufgefordert, ich möge Winkler, der unten warte, empfangen, ihn auf ein paar Augenblicke ins Haus hereinlassen; er habe mit mir zu reden, mir Verschiedenes, seine Person Betreffendes mitzuteilen, Erfreuliches, ebenso Unerfreuliches, mehr Unerfreuliches als Erfreuliches. Er wolle sich, kaum entlassen, bei mir bedanken, denn daß er nur fünf von sieben Jahren habe absitzen müssen, sei doch nur mein Verdienst. Im übrigen sei ich, der ihm nach seiner Festnahme vor fünf Jahren zur Prozeßvorbereitung und zur Verteidigung zugeteilt worden war, der einzige, dem er sich jetzt, nachdem er aus Garsten fort sei, anzuvertrauen nicht fürchte. Vor allen anderen fürchte er sich, umgekehrt fürchteten alle anderen ihn. Vornehmlich seine früheren Bekannten vermieden es jetzt, sich mit Winkler zu unterhalten, sie scheuten den geringfügigsten Kontakt mit ihm. Niemand grüße ihn, niemand lasse sich von ihm grüßen. Kein Mensch verliere an ihn ein Wort. Über ihn aber verlören sie ganz entsetzliche. Sie verhielten sich größtenteils so, als wenn er nicht existierte. Er selber getraue sich nicht, jemanden anzusprechen. Weiterhin würden über ihn Lügen verbreitet, ganz Ischl rede über ihn und seine Unwürdigkeit. Verleumdungen machten die Runde, das verletze ihn auf Schritt und Tritt, sie, seine Schwester, hoffe nur, daß ihr Bruder nicht die Konsequenzen aus allen diesen Fürchterlichkeitenziehe. Alles würde ihm auf die niederträchtigste Weise erschwert. Sie bilde sich gar nichts ein, mit offenen Augen sehe sie die ihren Bruder verletzenden Vorgänge. Der Ort und seine Umgebung seien eine ständige Quelle ungerechtfertigter Gehässigkeiten gegen ihn. Komme sie nach Ischl, sei auch sie, die doch gar nichts dafür könne, davon betroffen. Daß ein Mensch einen solchen Zustand aushalten kann, glaube sie nicht, daß er weiterhin in der ihn mit allen Raffinessen zersetzenden Gegend existieren werde, könne sie sich nicht vorstellen. Winklers Schwester machte, während sie, nachmittags gegen fünf, in meiner Kanzlei vor mir stand, einen verzweifelten Eindruck auf mich. Sie habe, sagte sie, von ihrem Bruder außer Schlägen, Vorwürfen, äußeren wie inneren Verletzungen, nichts zu erwarten. Sein Charakter sei unverändert und ihr wie mir bekannt. Sie habe in ihrem ganzen Leben, in ihrer ganzen Kindheit und Jugend, vor allem während der wichtigsten Wachstumszeit, unter Winklers »fürchterlichem« Charakter zu leiden gehabt, seine ganze Umgebung, Eltern, Großeltern, sei immer von ihm unterdrückt gewesen. Die Roheit seiner plötzlichen Auftritte und Eingriffe in die Familie, in Ruhe und Ordnung, sein »Zerstörungstrieb« habe immer alle verängstigt. Eltern wie Großeltern wie Nachbarn hätten vor ihm eine fortwährende, selbst von ihren Gliedern ausgehende Angst gehabt, sie selber sei durch ihn die ganze Zeit mit dem Gericht in Beziehung gebracht und schließlich und endlich von ihm ruiniert worden. Sie gab ihm auch die Schuld am frühen Tod ihrer Eltern. Sie nannte viele Beispiele seiner unglaublichen Körperroheit, immer wieder bezog sie sich in allem, was sie jetzt hastig äußerte, auf seine zu einem einzigen großen Unglück zusammengeschmolzene Natur. Er habe »von seinem dummen Kopf aus« alles um sich herum beherrscht, oft »von hoch oben herunter« zugeschlagen, nur hätten sie, Eltern und Schwester, immer alles vertuscht. Größere Verletzungen aber seien der Gendarmerie bekanntgeworden, und immer wieder sei er wegen schwererKörperverletzung in immer kürzeren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher