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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen
Autoren: Julie Kenner
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aber …« Ich hinkte immer noch sieben Schritte hinterher. »Selbst wenn alles, was du sagst, stimmt, was hat das mit mir zu tun?«
    »Die Prophezeiung!. Da kommst du ins Spiel. Du musst sie beschützen, Lily. Du musst die Dämonen aufhalten und die Pforte endgültig verschließen.«
    »Bist du verrückt?«, fragte ich und dachte bei mir, dass er das höchstwahrscheinlich tatsächlich war. »Ich bin kein … Ich meine, wie? Wie soll ich so etwas schaffen?«
    Er hob die Bierflasche und musterte mich kritisch. »Du weißt es wirklich nicht, was? Kannst du dich nur an so wenig erinnern?«
    »Verdammt, Clarence, rück einfach raus damit!«
    »Du bist eine Mörderin, Lily. Und wenn die Prophezeiung recht behält, eine sehr wichtige dazu. Du wirst die Dämonen töten. Du wirst die Zeremonie beenden.«
    »Eine Mörderin«, wiederholte ich völlig entgeistert. »Das ist doch verrückt!«
    »Wirklich? Du hast doch schon einmal zu einer Pistole gegriffen, um einen Mann zur Strecke zu bringen. Jetzt benutzt du eben ein Schwert.«
    »Nein. Nein!« Eine Mörderin ? Das sollte mich wundern. »Dieses Jagen und Töten habe ich ein einziges Mal gemacht. Ein einziges Mal!«, wiederholte ich mit allem Nachdruck. »Und dafür hatte ich einen guten Grund. Der Dreckskerl hat meine Schwester zerstört. Vierzehn Jahre ist sie erst alt! Eine Woche war sie im Krankenhaus, das Gesicht so geschwollen, dass ich sie beinahe nicht erkannt hätte, ihre Vagina so zugerichtet, dass man sie nähen musste. Sie ist erst vierzehn!«
    Durch den roten Schleier meiner Erinnerungen konnte ich ihn nur mehr undeutlich sehen. »Danach hat er ihr Postkarten geschickt. Sie angerufen. Ihr aufgelauert.« Ein Bild tauchte vor meinem geistigen Auge auf: Rose sinkt vor Entsetzen auf die Knie, ich stehe dabei und verspreche ihr, dafür zu sorgen, dass alles gut wird, während mich der Zorn und das heftige Verlangen, Johnson in Stücke zu reißen, von innen heraus verbrennt.
    »Als du losgezogen bist, um ihn zu töten, war er nicht hinter ihr her«, sagte Clarence, seine Stimme so ausdruckslos wie sein Blick.
    Ich hob den Kopf. Nie - niemals - würde ich deswegen ein schlechtes Gewissen bekommen. »Er hat sie zugrunde gerichtet! Er hat sie zerstört, und sie haben ihn wieder auf die Menschheit losgelassen.« Ich begann zu zittern, holte tief Luft und blickte Clarence an. »Ich hatte es auf ihn abgesehen, nur auf ihn, und ich hatte verdammt gute Gründe dafür. Aber ich bin keine Killerin. Das bin ich nicht. Ich bin nicht so. Ich tue so etwas nicht.«
    »Sieh es nicht als Mord. Sieh es als Bettung der Welt.«
    »Aber …«
    »Lily«, unterbrach er mich scharf, »was wolltest du werden, wenn du mal groß bist? Bevor dein Leben auf die schiefe Bahn geraten ist, meine ich.«
    Ich presste die Zähne aufeinander und sagte kein Wort. Auf Psychospielchen hatte ich echt keinen Bock. Ich musste nachdenken. Ich musste mir überlegen, wie ich weiter vorgehen sollte, da ich nun in einem fremden Körper in Boarhurst festsaß, während meine Schwester schutzlos und allein in den Fiats steckte.
    »Nun sag schon!«, hakte Clarence nach. »Davor. Was wolltest du werden?«
    »Ärztin. Ich wollte Ärztin werden.« Diesen Traum hatte ich zusammen mit meiner Mutter beerdigt. Als mein Stiefvater in völliger Nutzlosigkeit versank und ich diejenige war, die für das Essen auf dem Tisch sorgen musste - im reifen Alter von vierzehn. Ich liebe meinen Stiefvater - oder zumindest weiß ich, dass meine Mutter ihn geliebt hat. Aber manchmal hasse ich ihn für seine Schwäche. Dafür, dass er mich nicht so beschützt hat, wie ich Bose zu schützen versucht habe.
    »Ein ziemlich aufopferungsvoller Beruf, die Medizin. Immer erst an andere denken. Dafür sorgen, dass es anderen Leuten gut geht.«
    »Stimmt«, gab ich ihm recht. »Und für den Fall, dass du es noch nicht gemerkt hast: Ich bin keine Ärztin geworden.« Mehr als ein paar Kurse als Rettungssanitäterin hatte ich nicht geschafft - und auch die nur, wenn ich einen Job hatte, bei dem mein Schichtdienst und der Stundenplan der Volkshochschule zusammenpassten. Und wenn ich genug Geld zusammenschnorren oder klauen konnte, das nicht komplett für Essen und Hypothek draufging oder dafür, dass ich ausnahmsweise mal über die Stränge schlug. Meistens brachte ich Terminplan und Geld nicht in Einklang.
    Ich habe niemandem davon erzählt, nicht einmal Rose. Wenn ich keinen Abschluss machte, wollte ich zumindest nicht als noch größere Versagerin
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