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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen
Autoren: Manu Ungefrohrn
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bin“, flüsterte ich.
      „Du hältst dich nicht daran, Carys. Du bist voller Trauer.“
    Ich nahm Gwydions Hand und sah ihn schmunzelnd an. „Danke, Gwyn!“
    Er zuckte die Achseln. „Also gut – wo sind wir hier?“
      „Ich weiß es nicht“, gestand ich. „Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin.“
    Gwydion hob seine Hand und berührte die Steinwand. „Ich bin dir die Galerie hinauf gefolgt. Dort hast du in einer Nische die Steine in einer bestimmten Anordnung berührt, bis sich eine geheime Tür offenbarte.“
      „Echt? Warum sollte ich das tun?“ staunte ich.
      „Jemand will, dass wir hier sind. Bis hierher sind es gefühlte sechshundert Treppenstufen“, stöhnte Gwydion.
    Ich musterte ihn nachdenklich. „Gwyn, ich glaube, Emrys kannte diesen Gang hier ebenfalls.“
      „Das erklärt zumindest, warum er oft so plötzlich verschwunden war.“
      „Wieso können wir eigentlich hier unten ohne Fackeln sehen?“ fragte ich.
    Gwydion Kendrick kicherte. „Du bist wirklich unglaublich, Carys!“ Er zeigte über uns. Dort leuchtete ein Licht, das sich mit mir bewegte. „Was kannst du wohl für Wunder vollbringen, wenn du dich erst einmal gewandelt hast!“ Er schien fasziniert, ich war es nicht minder.
      „Ich würde alle Wunder geben, wenn es mir meinen Emrys zurückbrächte“, hauchte ich.
      „Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst!“ zischte Gwydion aufgebracht. Warnend blickte er mich an. „Wenn Emrys‘ Seele sich im Jenseits befindet, dann ist sie erlöst und in Sicherheit, Carys. Beschwöre kein Unheil!“
      „Aber was ist, wenn er in der Schattenwelt gefangen ist?“ Bei diesem Gedanken wurde mein Herz ganz schwer.
      „Dann sei vorsichtig, was du dir wünschst. Stell dir vor, du befreist ihn und hängst dann selbst in der Schattenwelt fest!“
    Ein kalter Schauder rann mir wie eine Warnung über die Haut. „Du hast Recht, mein lieber Freund!“
      „Willst du hier eigentlich festwachsen oder gehen wir weiter?“ Er knuffte mich sanft. „Gefällt mir übrigens, wenn du sprichst!“
    Ich kicherte und schritt weiter voran, wobei mein Zauberlicht uns den Weg leuchtete.
      „Sonst redet Ceridwen immer für euch beide. Aber ich glaube, ich mag den Klang deiner Stimme lieber.“
      „Verknall dich besser nicht in mich, Gwyn!“ warnte ich ihn scherzhaft.
    Nun war es an Gwydion zu kichern. „Hat Emrys dir nie erzählt, dass ich eher nicht auf Mädchen stehe?“
    Ich blieb stehen und wandte mich zu ihm um. „Emrys hat nie viel gesprochen. Er war einfach nur da und hat mich gehalten.“ Meine Stimme war ganz rau von dem Schmerz des großen Verlustes, der mich wieder einmal zu übermannen drohte.
    Gwydion zog mich in seine Arme und lehnte seinen Kopf an meinen. „Ich hab dich so lieb, Carys! Bitte geh mir nicht verloren!“
    Ich schmiegte mich in die tröstliche Umarmung und schloss die Augen. Gwydion war nicht Emrys, aber er war mir ein wahrer, lieber Freund. „Ich habe dich auch lieb, Gwyn!“
    Wir lösten uns voneinander, als wir beide spürten, dass wir uns genug Kraft gegeben hatten.
    Wir schritten noch ein endloses Stück weiter, ehe wir ein grottenartiges Gewölbe erreichten. Uns beiden stockte bei dem Anblick, der sich uns bot, der Atem. Hier hatte sich ein unterirdischer See gebildet, der aus der Tiefe her in einem dunklen Violett leuchtete.
    Ich schritt näher heran, doch Gwydion hielt mich zurück. „Sei vorsichtig, Carys!“
    Ich machte mich los und staunte:
      „Gwyn! Das ist uralte Magie!“ Dennoch war ich auf der Hut, als ich an das Ufer herantrat. Schatten bewegten sich auf mich zu und tauchten an die Oberfläche.
    Es waren gesichtslose Körper, Seelen.
      „Wer seid ihr?“ fragte ich leise und hielt staunend den Atem an.
      „Ich bin eine verlorene Seele, Carys Olwyn Parker. Ich bin vergessen und gefangen, sehnte mich Jahrhunderte nach meiner Befreiung, doch jetzt habe ich auch diesen Drang verloren…“ Ihre Stimme klang monoton, aber unwirklich schön, fast lieblich. „Ich weiß, wen du suchst, Carys Olwyn Parker, doch bei uns wirst du ihn nicht finden…“
    Eine große Erleichterung überrannte mich, denn die Vorstellung, Emrys könne eine verlorene Seele sein, bereitete mir mehr als Kummer – es hätte mich in eine brutale Verzweiflung getrieben und ich wäre letztendlich selbst nur noch eine verlorene Seele.
      „Wo kann ich ihn finden?“ fragte ich wispernd.
    Die Seele bekam das Gesicht einer wunderschönen jungen Frau.
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