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Erstes Erlebnis: Vier Geschichten aus Kinderland

Erstes Erlebnis: Vier Geschichten aus Kinderland

Titel: Erstes Erlebnis: Vier Geschichten aus Kinderland
Autoren: Stefan Zweig
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einen losgerissenen Splitter ihrer Stimme. »Wer bist du, sag mir, wer bist du?« verlangt er. Aber dieser weiche, feuchte Mund hat nur Küsse, keine Worte. Da will er ein Wort erpressen, einen Schrei des Schmerzes, er zerdrückt den Arm, bohrt seine Nägel tief in das Fleisch, aber bloß Keuchen fühlt er aus einer angespannten Brust, erhitzten Atem und die Schwüle der hartnäckig stummen Lippen, die nur manchmal leise stöhnen, er weiß nicht, ob in Schmerz oder Wollust. Und das macht ihn wahnsinnig, daß er keine Kraft hat über diesen trotzigen Willen, daß diese Frau aus dem Dunkel ihn nimmt, ohne sich ihm zu verraten, daß er unbegrenzte Macht hat über ihren begehrenden Körper und nicht Herr ist ihres Namens. Ein Zorn bricht in ihm auf, und er wehrt ihrer Umschlingung; sie aber, die Ermattung seines Armes fühlend und gewahr seiner Unruhe, umschmeichelt begütigend und lockend mit der erregten Hand sein Haar. Und da spürt er, wie die Finger hinstreifen, leise klingend etwas an seiner Stirne, Metall, ein Medaillon, eine Münze, die lose von ihrem Armbande pendelt. Da faßt ihn jäh ein Gedanke. Wie in wildester Leidenschaftpreßt er ihre Hand an sich und drückt dabei die Münze tief in seinen halbentblößten Arm, bis sich die Fläche in seine Haut eingräbt. Ein Zeichen ist ihm jetzt gewiß, und nun, da es an seinem Körper brennt, da gibt er sich willig hin an die verhaltene Leidenschaft. Nun preßt er sich tief in ihren Körper, saugt die Wollust von ihren Lippen, hinstürzend in diese geheimnisvoll lüsterne Glut einer wortlosen Umkettung.
    Und als sie dann, ganz wie gestern, plötzlich aufspringt und flüchtet, da sucht er sie nicht zu halten, denn die Neugier nach dem Zeichen fiebert in seinem Blut. Er stürmt in sein Zimmer, läßt die mattschwelende Lampe grell aufflammen und beugt sich gierig über das Mal, das die Münze in seinen Arm eingegraben hat.
    Es ist nicht mehr ganz deutlich, die volle Rundung ist verlöscht, aber die eine Ecke ist noch scharf und rot eingepreßt, unverkennbar genau. An den Ecken kantig abgeschliffen, achteckig muß die Münze sein und mittelgroß, wie ein Penny etwa, nur plastischer, denn hier ist die Grube noch tief, die der Erhöhung entspricht. Wie Feuer brennt das Mal, da er es so gierig betrachtet, wie eine Wunde tut es ihm plötzlich weh, und erst jetzt, da er die Hand in das kalte Wasser taucht, schwindet das schmerzhafteBrennen. Achteckig ist das Medaillon: jetzt fühlt er sich ganz sicher. Triumph funkelt in seinem Blick. Morgen wird er alles wissen.
    Am nächsten Morgen ist er einer der ersten am Frühstückstisch. Von Damen sind nur ein ältliches Fräulein, seine Schwester und die Gräfin E. zur Stelle. Alle sind sie aufgeräumt, ihr Gespräch springt achtlos an ihm vorbei. Um so besser kann er beobachten. Rasch gleitet sein Blick um die schmale Handfessel der Gräfin: sie trägt kein Armband. Nun erst kann er ruhig mit ihr sprechen, aber nervös tastet sein Auge immer zur Türe hin. Die drei Schwestern, seine Cousinen, treten jetzt zusammen ein. Die Unruhe rührt ihn wieder an. Undeutlich unter den Ärmel verschoben, sieht er ihren Armschmuck, aber zu rasch nehmen sie Platz, gerade ihm gegenüber Kitty, die kastanienbraune, Margot, die blonde, und Elisabeth, deren Haar so hell ist, daß es im Dunkel wie Silber leuchtet und in der Sonne golden fließt. Alle drei sind sie wie immer kühl, still und abwehrend, erstarrt in die Würde, die er an ihnen so haßt, weil sie doch nicht viel älter sind als er und doch vor Jahren noch seine Spielkameraden waren. Die junge Frau seines Onkels fehlt noch. Immer unruhiger wird das Herz des Knaben, da er die Entscheidung so nahe fühlt, und mit einemmalist ihm die rätselhafte Qual des Geheimnisses fast lieb. Aber sein Blick ist neugierig, huschend streift er an der Tischkante herum, über deren weißem Geleucht die Hände der Frauen ruhig liegen oder langsam wandeln wie Schiffe in einer blinkenden Bucht. Er sieht nur die Hände, und sie scheinen ihm plötzlich wie eigene Wesen, wie Gestalten auf einer Bühne, jede ein Leben und eine Seele. Warum klopft das Blut so an seine Schläfe? Alle drei Cousinen, sieht er erschreckt, tragen Armreifen, und die Gewißheit, daß es eine von diesen hochmütigen, äußerlich so tadellosen Frauen sein könnte, die er nur immer, selbst in Kindertagen, trotzig in sich gewandt gekannt hatte, verwirrt ihn. Welche sollte es sein? Kitty, die er am wenigsten kennt, weil sie die Älteste ist, die
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